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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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wahr, wie er immer sagte: «Ich komme für ein paar Minuten», und dann einen ganzen Tag lang blieb. Nein, ich will nicht werden wie er.
    STAWROGIN
    Sprich nicht so. Du tust dir weh und mir auch. Hör her, ich kann es dir schwören: Ich liebe dich jetzt sogar noch mehr als gestern, weil du mit mir hierhergekommen bist.
    LISA
    Eine seltsame Liebeserklärung!
    STAWROGIN
    Wir werden uns nicht mehr trennen, sondern zusammen fortgehen.
    LISA
    Fortgehen? Wozu? Um gemeinsam wieder aufzuerstehen, wie Sie es nennen? Nein, das ist mir alles zu erhaben. Wenn ich mit Ihnen fortgehe, dann nach Moskau, um Besuche zu empfangen und zu erwidern. Das ist mein Ideal, ein sehr bürgerliches. Aber da Sie verheiratet sind, ist das ohnehin sinnlos.
    STAWROGIN
    Aber hast du vergessen, dass du dich mir hingegeben hast?
    LISA
    Nein, das habe ich nicht. Aber jetzt werde ich Sie verlassen.
    STAWROGIN
    Du rächst dich an mir für deine gestrige Laune.
    LISA
    Das ist ein schäbiger Gedanke.
    STAWROGIN
    Wie soll ich es sonst verstehen?
    LISA
    Was kümmert Sie das? Sie tragen keine Schuld und brauchen sich bei niemandem zu rechtfertigen.
    STAWROGIN
    Verachte mich nicht! Ich fürchte nichts mehr, als die Hoffnung zu verlieren, die du mir gegeben hast. Ich war verloren, wie ein Ertrinkender, und wusste, nur deine Liebe würde mich retten können. Kannst du ermessen, was diese neue Hoffnung mich gekostet hat? Ich habe mit dem Leben dafür bezahlt …
    LISA
    Mit Ihrem oder einem fremden?
    STAWROGIN (verstört)
    Was willst du damit sagen? Antworte sofort, was willst du damit sagen?
    LISA
    Ich habe nur gefragt, ob Sie für diese Hoffnung mit Ihrem Leben bezahlt haben oder mit meinem? Warum sehen Sie mich so an? Was haben Sie denn gemeint? Sie sehen aus, als hätten Sie Angst, schon lange … Und jetzt werden Sie bleich …
    STAWROGIN
    Wenn du etwas weißt – ich weiß nichts, das schwöre ich. Aber ich wollte etwas ganz anderes sagen …
    LISA (erschrocken)
    Ich verstehe nicht.
    STAWROGIN (setzt sich und nimmt den Kopf in die Hände)
    Ein böser Traum … Ein Albtraum … Wir haben verschiedene Dinge gemeint.
    LISA
    Ich weiß nicht, wovon Sie reden … (Sieht ihn an) Nikolai … ( STAWROGIN hebt den Kopf.) Haben Sie gestern tatsächlich nicht gespürt, dass ich Sie heute verlassen würde? Wussten Sie es, ja oder nein? Belügen Sie mich nicht: Haben Sie es gewusst?
    STAWROGIN
    Ja, ich habe es gewusst.
    LISA
    Und trotzdem haben Sie mich mitgenommen.
    STAWROGIN
    Ja, verurteile mich, es ist dein Recht. Ich wusste, dass ich dich nicht liebe, und trotzdem habe ich dich mitgenommen. Ich habe noch nie für irgendwen Liebe empfunden. Begehrt habe ich, mehr nicht. Und ich habe dich benutzt. Aber ich habe immer gehofft, dass ich eines Tages würde lieben können, und zwar dich. Dass du mit mir gekommen bist, hat diese Hoffnung vergrößert. Ich werde lieben, ja, dich werde ich lieben …
    LISA
    Sie werden mich lieben! Und ich dachte … Ha! Ich bin aus Hochmut mitgekommen, weil ich ebenso großzügig sein wollte wie Sie, weil ich Ihren Abgrund, Ihr Unglück teilen wollte. (Weint) Und trotzdem habe ich mir eingebildet, dass Sie mich besinnungslos lieben. Und Sie? Sie hoffen, mich eines Tages vielleicht zu lieben. Ich dummes Gänschen. Lachen Sie nicht über meine Tränen! Ich tue mir gern selber leid. Aber genug davon! Ich bin nicht lebenstauglich, und Sie ebenso wenig. Wir sollten einander trösten, indem wir uns die Zunge herausstrecken. Dann leidet wenigstens unser Stolz nicht.
    STAWROGIN
    Weine nicht, ich ertrage es nicht.
    LISA
    Ist schon wieder gut. Ich habe mein Leben für eine Stunde mit Ihnen geopfert. Jetzt bin ich ruhig. Und Sie werden das Ganze schon vergessen, auf Sie warten mehr solcher Stunden, solcher Augenblicke.
    STAWROGIN
    Niemals! Nie! Keine andere …
    LISA (mit irrsinniger Hoffnung)
    Ach, Sie …
    STAWROGIN
    Ja, ja, ich werde dich lieben. Jetzt bin ich ganz sicher. Eines Tages wird sich mein Herz endlich lösen, ich werde den Nacken beugen und mich in deinen Armen vergessen. Nur du allein kannst mich heilen, nur du allein …
    LISA (hat sich wieder gefasst; stumpf resigniert)
    Sie heilen! Das will ich gar nicht. Ich will nicht die barmherzige Schwester spielen. Versuchen Sie es mit Dascha: Die ist ein Hündchen, das Ihnen überallhin folgt. Und seien Sie um mich nicht traurig. Ich habe im Voraus gewusst, was mich erwartet. Ich habe immer gewusst, wenn ich Ihnen folge, dann führen Sie mich an einen Ort, wo eine ungeheure Spinne

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