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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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notiert rasch etwas auf einem Zettel. Unterdessen windet STEPAN TROFIMOWITSCH sich auf seinem Stuhl. Dann dreht sie sich zu ihm hin.)
    Stepan Trofimowitsch, wir haben einige Fragen zu klären, bevor sich unsere Wege endgültig trennen. Lassen Sie mich gleich zur Sache kommen. ( STEPAN TROFIMOWITSCH schrumpft auf dem Stuhl zusammen.) Seien Sie bitte still, bis ich ausgeredet habe. Ich halte mich an meine Verpflichtung, Ihre Rente von zwölfhundert Rubel zu zahlen, wie gehabt. Ich füge noch achthundert hinzu, wegen einmaliger Ausgaben. Wird Ihnen das genügen? Es scheint mir nicht wenig. Sie nehmen dieses Geld und machen damit, was Sie wollen, wo Sie wollen, in Sankt Petersburg, in Moskau, im Ausland, aber nicht mehr bei mir. Haben Sie verstanden?
    STEPAN
    Vor nicht langer Zeit habe ich aus Ihrem Mund eine andere Forderung vernommen, ebenso dringend, ebenso kategorisch. Ich habe mich gefügt, habe mich als Bräutigam verkleidet und Ihnen zuliebe den Tanz mitgemacht …
    WARWARA
    Sie haben nicht getanzt. Sie sind pomadisiert, parfümiert und mit einer neuen Krawatte hergekommen. Sie wollten unbedingt heiraten, das stand Ihnen ins Gesicht geschrieben, und das war kein schöner Anblick, glauben Sie mir. Noch dazu eine so junge Frau, fast ein Kind noch …
    STEPAN
    Bitte, reden wir nicht mehr davon. Ich ziehe in ein Heim.
    WARWARA
    Man zieht nicht ins Heim, wenn man über zweitausend Rubel Rente verfügt.
    [Sie sagen das, weil Ihr Sohn, der übrigens intelligenter ist, als Sie behaupten, eines Tages scherzhaft das Heim erwähnt hat. Es gibt verschiedene Arten Heime, auch welche, wo Generäle leben. Da können Sie dann Whist spielen …]
    STEPAN
    Lassen wir das!
    WARWARA
    Lassen wir das, sagen Sie? Werden Sie auch noch frech? Dann machen wir lieber gleich Schluss. Lassen Sie es sich gesagt sein: Ab jetzt sind wir geschiedene Leute!
    STEPAN
    Das soll alles sein? Nach zwanzig gemeinsamen Jahren? Ein Abschied für immer?
    WARWARA
    Was für zwanzig Jahre denn? Eitelkeit und oberflächliches Getue! Sogar die Briefe, die Sie mir geschrieben haben, sind für die Nachwelt gedacht. Sie sind kein Freund, Sie sind ein Stilist!
    STEPAN
    Sie reden wie mein Sohn. Offenbar hat er Sie beeinflusst.
    WARWARA
    Ich bin alt genug, um selbständig zu denken. Was haben Sie in diesen zwanzig Jahren für mich getan? Ich habe nicht mal die Bücher lesen dürfen, die ich für Sie bestellt habe. Zuerst wollten Sie sie selber lesen, und weil Sie das nie tun, durfte ich zwanzig Jahre lang warten. In Wirklichkeit waren Sie eifersüchtig auf meine geistige Entwicklung.
    STEPAN (verzweifelt)
    Aber wegen solcher Lappalien kündigt man doch nicht eine Freundschaft auf!
    WARWARA
    Als ich aus dem Ausland kam und Ihnen erzählen wollte, was ich vor der Sixtinischen Madonna empfunden habe, wollten Sie nicht einmal zuhören, sondern haben nur herablassend gelächelt.
    STEPAN
    Ich lächelte, ja, aber nicht herablassend.
    WARWARA
    Dazu gäbe es auch keinen Grund! Diese Sixtinische Madonna interessiert keinen Menschen außer ein paar alten Männern wie Ihnen, so viel steht fest.
    STEPAN
    Nach all diesen harten Worten steht nur fest, dass ich fortmuss. Und jetzt hören Sie mir zu. Ich werde meinen Bettelsack nehmen, alle Ihre Geschenke zurücklassen und zu Fuß losziehen, um mein Leben als Hauslehrer bei einem Kaufmann zu beenden oder in einem Gebüsch hungers zu sterben. Leben Sie wohl.
    WARWARA (steht wutschnaubend auf)
    Wusste ich’s doch! Seit Jahren wusste ich, dass Sie nur auf die Gelegenheit warten, mich so zu behandeln. Sie sind imstande und sterben nur, um mein Haus in Verruf zu bringen.
    STEPAN
    Sie haben mich immer verachtet, aber ich werde mein Leben als treuer Ritter meiner Dame beenden. Ab jetzt nehme ich nichts mehr von Ihnen an und werde Ihnen selbstlos dienen.
    WARWARA
    Das wäre ja mal etwas Neues.
    STEPAN
    Ich weiß, Sie haben mich nie geschätzt. Ja, ich habe hier schmarotzt, und ich habe Schwächen. Aber als Schmarotzer zu leben war nie meine Absicht gewesen. Es kam eben so, ich weiß auch nicht, wie. Ich habe immer gedacht, zwischen uns gäbe es etwas Höheres als Essen und Trinken, und ich habe mich immer anständig benommen! Gut, gut, nur zu, ich werde für meine Fehler büßen. Es ist recht spät, der Herbst ist fortgeschritten, das Land liegt unter Nebelschwaden, der Raureif des Alters bedeckt meinen Weg, und im Heulen des Windes höre ich den Ruf des Grabs. Dennoch, es muss geschieden sein! Oh! Lebt wohl, meine Träume! Zwanzig Jahre!

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