Saemtliche Dramen
und ich war gegen diesen Mord, aber ich habe gewusst, dass man sie töten würde, und habe die Mörder nicht daran gehindert. Lassen Sie mich jetzt allein.
LISA (schaut ihn voll Grauen an)
Nein, nein, nein! (Sie läuft schreiend hinaus.)
PJOTR
Also habe ich mit Ihnen nur Zeit vertan!
STAWROGIN (dumpf)
Ich, oh, ich … (Lacht unvermittelt wie verrückt, richtet sich dann auf und schreit mit schrecklicher Stimme) Ich hasse, hasse alles, was in Russland lebt, das Volk, den Zaren, Sie und Lisa. Ich hasse alles, was auf der Erde lebt, und mich ganz besonders. So soll denn die Vernichtung wüten, soll alle zerschmettern und mit ihnen die Affen Stawrogins und Stawrogin selbst …
Dunkel
[Siebzehntes Bild [4]
( LISA läuft weg, PJOTR WERCHOWENSKI ihr nach.)
PJOTR
Warten Sie, Lisa, warten Sie! Ich nehme Sie in meiner Kutsche mit.
LISA (verstört)
Ja, ja, Sie sind gut. Wo sind sie? Wo ist das Blut?
PJOTR
Nicht doch, was wollen Sie? Es regnet. Kommen Sie, Mawriki Nikolajewitsch ist hier.
LISA
Mawriki! Wo denn? Oh mein Gott, er wartet auf mich! Er weiß alles!
PJOTR
Was macht das schon? Er ist ein vorurteilsfreier Mann, da bin ich sicher.
LISA
Wunderbar, wunderbar! Ach, er darf mich nicht sehen. Wir müssen fliehen, in den Wald, über die Felder …
( PJOTR WERCHOWENSKI geht weg, LISA flieht. MAWRIKI NIKOLAJEWITSCH taucht auf und folgt ihr. Sie fällt. Er beugt sich weinend über sie, zieht seinen Mantel aus und bedeckt sie. Sie küsst ihm weinend die Hand.)
MAWRIKI
Lisa! Ich bin nichts neben Ihnen, aber verstoßen Sie mich nicht!
LISA
Mawriki, verlassen Sie mich nicht! Ich habe Angst vor dem Tod, ich will nicht sterben.
MAWRIKI
Sie sind ja völlig durchnässt! Mein Gott, und es regnet immer noch!
LISA
Das macht nichts. Bitte nehmen Sie mich mit. Ich will das Blut sehen. Man hat seine Frau ermordet, heißt es. Und er sagt, er sei es gewesen. Das ist doch nicht wahr, oder? Aber ich will mit eigenen Augen die sehen, die man um meinetwillen umgebracht hat … Schnell, schnell! Oh Mawriki, ich verdiene Ihre Vergebung nicht, ich habe schlecht gehandelt. Warum sollte man mir verzeihen? Was weinen Sie? Ohrfeigen Sie mich, töten Sie mich, gleich hier!
MAWRIKI
Niemand hat das Recht, Sie zu verurteilen, ich weniger als sonst jemand. Gott möge Ihnen vergeben!
(Auf dem Vorhang allmählich stärker werdender Widerschein der Brände; der Lärm der Menge wird hörbar. STEPAN TROFIMOWITSCH tritt auf, im Reiseanzug, eine Reisetasche in der Linken, Stock und Schirm in der Rechten.)
STEPAN (scheint desorientiert)
Ach, Sie! Verehrteste, Gnädigste, ist es möglich? In diesem Nebel … Sehen Sie, der Brand! … Sie sind unglücklich, nicht wahr? Das sehe ich genau. Wir sind alle unglücklich, aber man muss allen verzeihen. Um mit der Welt fertigzuwerden und frei zu sein, muss man verzeihen, verzeihen, verzeihen …
LISA
Bitte! Stehen Sie auf, warum knien Sie nieder?
STEPAN
Ich will der Welt Lebewohl sagen, will in Ihrer Gegenwart meiner ganzen Vergangenheit ein Lebewohl zurufen. (Er weint.) Ich knie nieder vor allem Schönen, das es in meinem Leben gegeben hat. Ich träumte davon, den Himmel zu erklimmen, und jetzt sitze ich hier im Dreck, ein jämmerlicher Greis … Sehen Sie, das blutige Verbrechen. Sie konnten nicht anders. Ich fliehe vor diesem Wahnsinn, diesem Albtraum, ich breche auf, um Russland zu suchen. Aber Sie sind ja beide ganz nass. Nehmen Sie meinen Schirm. ( MAWRIKI NIKOLAJEWITSCH greift automatisch danach.) Ich werde schon irgendeinen Karren finden. Aber liebe Lisa, haben Sie eben gesagt, man hat jemanden umgebracht? ( LISA schwankt.) Mein Gott, sie wird ohnmächtig!
LISA
Schnell, schnell, Mawriki, geben Sie diesem Kind seinen Schirm zurück! Sofort! (Wieder zu STEPAN TROFIMOWITSCH ) Ich werde ein Kreuz über Ihnen schlagen, armer Mann. Beten auch Sie für die arme Lisa!
( STEPAN TROFIMOWITSCH geht, und die beiden jungen Leute gehen auf die Flammen zu. Der Lärm schwillt an. Die Flammen flackern lebhafter. Jetzt schreit die Menge:)
STIMMEN
Das ist doch Stawrogins Flittchen! Erst bringen sie die Leute um, dann wollen sie auch noch die Leichen besichtigen!
(Ein Mann schlägt LISA . MAWRIKI NIKOLAJEWITSCH stürzt sich auf ihn. Sie prügeln sich. LISA steht wieder auf. Zwei weitere Männer schlagen sie, einer mit einem Stock. Sie stürzt. Ruhe kehrt ein. MAWRIKI NIKOLAJEWITSCH nimmt sie in die Arme und schleift sie ans Licht.)
MAWRIKI
Lisa, Lisa, verlassen Sie mich nicht.
( LISA
Weitere Kostenlose Bücher