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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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in der Ansicht, dass man zwei, drei Dutzend Lehrer beispielsweise bei lebendigem Leibe häuten sollte, denn Ihre Lehrer haben dafür gesorgt, dass Sie bis jetzt in der Lüge leben.
    MONSIEUR VIGNE
    Hui, Sie gehen ja ran! Und was wollen Sie damit sagen?
    MONSIEUR NÉANT
    Ich will sagen, Monsieur, dass nichts einen Grund hat und alles auf Zufall beruht.
    MONSIEUR VIGNE
    Sollte ich Ihnen hier gegenübersitzen, Bürgermeister meiner Gemeinde, Apotheker meines Standes, Vater einer hübschen Tochter, all das ohne jeden Grund? Wie soll das gehen?
    MONSIEUR NÉANT
    Weil diese Welt absurd ist.
    MONSIEUR VIGNE
    Und warum ist diese Welt absurd?
    MONSIEUR NÉANT
    Weil sie restlos unerklärlich ist.
    MONSIEUR VIGNE
    Und warum ist sie restlos unerklärlich?
    MONSIEUR NÉANT
    Weil sie absurd ist.
    MONSIEUR VIGNE
    Schon sehe ich klar, Monsieur, und kann mir ohne weiteres erklären, warum die Welt unerklärlich ist.
    MONSIEUR NÉANT
    Ihre Intelligenz gereicht Ihnen zur Ehre.
    MONSIEUR VIGNE
    Mein Gott, wie mich diese Philosophie befriedigt! Ich spüre, dass ich sie unverzüglich übernehmen werde.
    MONSIEUR NÉANT
    Daran täten Sie gut. Denn diese Philosophie entspricht nicht nur der Mode. Sie ist auch ganz und gar heroisch.
    MONSIEUR VIGNE
    Heroisch? Ah, ich lasse Sie nicht gehen, bevor sie mir den Grund dafür gesagt haben.
    MONSIEUR NÉANT
    Der Grund ist dieser: Man muss hinnehmen, dass die Welt unerklärlich ist.
    MONSIEUR VIGNE
    Wo ist der Heroismus, wenn man hinnimmt, was man nicht verweigern kann?
    MONSIEUR NÉANT
    Eben.
    MONSIEUR VIGNE
    Eben?
    MONSIEUR NÉANT
    Eben, das ist ja der Vorzug dieser neuen Philosophie. Früher musste man, um heroisch zu sein, irgendetwas getan haben, heute hingegen und dank dieser schönen Gedanken ist man ein Held, ganz ohne etwas zu tun.
    MONSIEUR VIGNE
    Monsieur, ich sage Ihnen ganz offen, ich werde Ihnen blind folgen, denn seit ich denken kann, habe ich etwas Heroisches tun wollen, nur die Umstände haben mich bisher daran gehindert.
    MONSIEUR NÉANT
    Es ist schon jetzt getan, Sie sind fortan ein Held.
    MONSIEUR VIGNE
    Ah, Monsieur, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr mir diese Philosophie gefällt. Ich werde sie ringsum in dieser Gemeinde verbreiten, auf dass jeder seinen Nutzen daraus ziehen kann und jedermann in meinem Bekanntenkreis wisse, dass es einzig und allein bei ihm liegt, ein Held zu sein.
    MONSIEUR NÉANT
    Zuvor jedoch muss ich Sie weiter in dieses schöne System einführen, dessen erste Wunder ich Ihnen jetzt vorgeführt habe. Wenn dieses Pröbchen Ihnen gefallen hat, kann ich Ihnen den Rest zeigen und Ihnen beispielsweise beibringen, dass Sie frei sind, weil Sie nichts sind, und dann kann ich Ihnen dieses Werk überlassen, gegen eine angemessene Entschädigung, versteht sich.
    MONSIEUR VIGNE
    Kommen Sie, Monsieur, sprechen Sie unverzüglich, ich brenne darauf, dieser neuen Religion beizutreten. Und ich schwöre Ihnen auf dieses Buch selbst, Sie werden großzügig für Ihre Mühe entlohnt werden.
    (Sie gehen nach hinten, wo MONSIEUR NÉANT den Folianten hinlegt und aufschlägt, mit dem sie die gesamte folgende Szene ringen werden. Pantomimisch.
    SOPHIE und MONSIEUR MÉLUSIN kommen herein.)
    SOPHIE
    Machen Sie schon.
    MONSIEUR MÉLUSIN
    Nein, das ist Ihre Sache.
    SOPHIE
    Sie müssen mit ihm reden.
    MONSIEUR MÉLUSIN
    Aber Sie müssen ihn vorbereiten.
    SOPHIE
    Jetzt seien Sie ein Mann!
    MONSIEUR MÉLUSIN
    Das bin ich ganz sicher! Aber was tut das zur Sache?
    SOPHIE
    Das tut zur Sache, dass Sie, wenn Sie mich heiraten wollen, jetzt und hier mit meinem Vater reden müssen.
    (Hinten verabschiedet sich MONSIEUR NÉANT von MONSIEUR VIGNE .)
    MONSIEUR MÉLUSIN
    Oh Gott, Sie werden alles verderben, weil Sie es übereilen.
    SOPHIE
    Und Sie werden mich verlieren, weil Sie es hinauszögern.
    MONSIEUR MÉLUSIN
    Sie verlieren?
    SOPHIE
    Ja, denn ich kann nur einen Mann heiraten, das liegt in der Natur der Dinge, und Sie sagen mir, dass Sie keiner sind.
    MONSIEUR MÉLUSIN
    Aber ich liebe Sie.
    SOPHIE
    Und ich hasse Sie.
    ( MONSIEUR VIGNE kommt mit tief nachdenklicher Miene, das Buch unter dem Arm.)
    Da kommt er.
    MONSIEUR MÉLUSIN
    Himmel, hilf! (Er flieht.)
    SOPHIE
    Ah, der Feigling! Und so einen muss ich lieben. (Geht ihrem Vater entgegen) Vater, ich möchte mit Ihnen über Monsieur Mélusin reden, der mich von ganzem Herzen liebt.
    MONSIEUR VIGNE
    Das ist mir nur recht, liebe Tochter. Nur will mir scheinen, dass es gar nicht so einfach ist, von ganzem Herzen zu lieben, da braucht man

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