Saemtliche Dramen
zu vergessen, wenn ihre Krippe überquillt, lässt sie sich nie lange bitten und teilt den Überfluss mit einem hungrigen Esel. (Geräusche aus dem Off.) Doch was ist das? Zwei Männer steigen von den Pferden, binden sie an und kommen auf mich zu … Wie blass sie sind! Was tun sie so früh am Tage in Wald und Feld? Köhler vielleicht, oder machen sie einen Verdauungsritt? … Oje, Ganoven am Ende? Weh mir, ganz sicher! … Wer sie auch sind, ich verstecke mich hier. Sie kommen … sie eilen … da sind sie schon.
( LISARDO und EUSEBIO kommen auf die Bühne.)
LISARDO
Bleiben wir hier. Dieser verborgene Ort fernab der Welt ist für meinen Zweck geeignet. Zieh dein Schwert, Eusebio! Mit der Klinge fordert man Rechenschaft von Männern deiner Sorte.
EUSEBIO
Wir werden uns schlagen, Lisardo, dafür bin ich gekommen. Aber verrate mir wenigstens, warum du mich hergebracht hast. Welchen Grund habe ich dir gegeben, dass du in deiner Ehre gekränkt bist?
LISARDO
So viele Gründe, dass mir die Worte fehlen. Könnte ich sie doch verschweigen, Eusebio, oder sie gleich vergessen! Sie zu wiederholen würde die Kränkung erneuern. Kennst du diese Briefe?
EUSEBIO
Wirf sie zu Boden! Dann hebe ich sie auf.
LISARDO
Nimm. Was stehst du so da? Warum so befangen?
EUSEBIO
Wehe, tausend Mal wehe dem Mann, der seine Geheimnisse dem Papier anvertraut! Ein Stein, in den Himmel geworfen – man weiß, wer ihn geworfen hat, doch wer ihn auffängt, weiß man nicht.
LISARDO
Du hast sie erkannt?
EUSEBIO
Ich leugne es nicht, sie sind alle von mir.
LISARDO
Also höre. Ich bin Lisardo von Sena, Sohn des Lisardo Curcio, der durch sinnlose Freigebigkeit das Erbe seiner Väter rasch vertan hat. Wir sind folglich arm, und wer sein Geld sinnlos verschleudert, weiß nicht, wie sehr er sich an seinen Kindern schuldig macht. Armut mag den Adel zwar demütigen, von den Pflichten des Standes entbindet sie nicht. Diese Pflichten hat Julia – der Himmel weiß, wie schwer es mir fällt, ihren Namen zu nennen – vernachlässigt oder sie gering geachtet. Sie mag meine Schwester sein, besser, sie wäre es nicht. Dir sei gesagt, dass man Frauen ihres Standes nicht mit verführerischen Reden oder mit ehrlosen Fürsprechern den Hof machen darf, ebenso wenig mit Liebesbriefen und heimlichen Botschaften. Freilich bist du nicht der einzig Schuldige, und ich gebe zu, ich hätte gegenüber einer Frau, die mir gestattet, mit ihr zu reden, ebenso gehandelt. Doch du warst mein Freund, und darum klage ich dich an, denn darum hast du stärker gefehlt als sie. Mag sein, sie hat eingewilligt, deine Frau zu werden, und obgleich ich sie lieber mit eigenen Händen umbrächte, bevor es so weit käme, kann ich mir keinen anderen Grund vorstellen, aus dem du ihre Nähe gesucht hast. Wenn du sie aber zu deiner Gattin machen wolltest, müsstest du diesen Wunsch meinem Vater mitteilen, bevor Julia von ihm erfährt. Das wäre der rechte Weg, und mein Vater hätte entschieden, ob er dir seine Tochter geben will. Ich glaube, er hätte es nicht getan. Ein verarmter Edelmann, der nicht über das dem Stand gemäße Vermögen verfügt, weiß, dass bereits die Armut ein Makel ist. Bevor er sich erniedrigt, indem er seine Tochter unter Stand vergibt, schickt er sie lieber ins Kloster. Und eben das Kloster erwartet heute meine Schwester. Da es sich nun nicht geziemt, dass eine Nonne die Beweise einer so unschicklichen und dreisten Liebe aufbewahrt, gebe ich sie in deine Hände zurück, entschlossen, sie dir gleich wieder zu entreißen und dich dann mit ihnen zu vernichten. Zieh dein Schwert, auf dass einer von uns hier sterbe, entweder du, damit du nie wieder meiner Schwester nachstellen kannst, oder ich, auf dass ich es nicht zu sehen brauche.
EUSEBIO
Warte, Lisardo. Ich habe mich beherrscht und deine Vorwürfe bis hierher angehört, nun muss auch ich reden dürfen. Mein Bericht verlangt vielleicht mehr Geduld, als zwei Streitende aufbringen können, doch wir werden uns schlagen, und einer von uns beiden wird auf dem Platze bleiben, falls es dem Himmel beliebt, werde ich das sein, also sollst du wenigstens diese unerhörte Geschichte voller beispielhafter Wunder erfahren, die nicht mit mir auf immer untergehen soll. Wer mein Vater war, weiß ich nicht, doch weiß ich, dass meine erste Heimstatt am Fuße eines Kreuzes war, wo ich auf einen Stein gebettet lag. Eine seltsame Geburt, wenn ich den Hirten glaube, die mich irgendwann am Fuße jener Berge bargen! Drei Tage
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