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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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meinen Geschmack habe ich Sie mehr als gut genug angesehen, und wenn die Gattung der Denker so aussieht, suche ich lieber die Gesellschaft der Unschuldigen und Analphabeten.
    MONSIEUR VIGNE
    Meine liebe Frau, Ihr Ehemann gehört ebenfalls zur Gattung der Denker, und ich bin heute frei, Sie zu verstoßen.
    MADAME VIGNE
    Mich was?
    MONSIEUR VIGNE
    Sie zu verstoßen. Und genau das tue ich hiermit und nehme Ihnen meinen Namen, den zu tragen Sie unwürdig sind. Was meine Tochter angeht, lasse ich mich von Ihnen dazu treiben, zu beschließen, dass dieser Ehrenmann hier höchstselbst den kleinen Bankert machen soll, von dem die Rede war.
    MADAME VIGNE
    So weit haben Sie es also getrieben, mein Herr, und ich nehme an, Sie sind damit hochzufrieden.
    MONSIEUR NÉANT
    Das bin ich, Madame, und all das ist sehr gut für die Lage des Menschen, denn jetzt sind wir alle im Unbehagen.
    ( SOPHIE kommt herein.)
    SOPHIE
    Herr Vater, der Direktor des Irrenhauses wünscht Sie zu sprechen.
    (Der DIREKTOR kommt herein, gefolgt von zwei kräftigen Männern.)
    DER DIREKTOR
    Ich bitte um Entschuldigung, Herr Bürgermeister, aber hier bei Ihnen befindet sich einer meiner Patienten, der sich ein wenig freigenommen hat und den ich in unser Ihnen wohlbekanntes schönes Irrenhaus zurückzubringen habe.
    ( MONSIEUR NÉANT will fliehen, wird aber von den beiden Männern fortgebracht.)
    MONSIEUR VIGNE
    Wie, Herr Doktor, dieser Mann soll ein Verrückter sein?
    DER DIREKTOR
    Ohne jeden Zweifel, Herr Bürgermeister, wir haben ihn seit mehreren Monaten in Behandlung.
    MONSIEUR VIGNE
    Aber das, was er mir erklärt hat, schien mir höchst vernünftig.
    MADAME VIGNE
    Weil Ihr Geisteszustand, lieber Gatte, seinem in nichts nachsteht und Sie wahrscheinlich dieselbe Behandlung brauchen.
    DER DIREKTOR
    Ihre Tochter hat mir geschildert, was vorgefallen ist. Glauben Sie mir, Sie sind nicht das erste Opfer meines Patienten. Es heißt, in Paris habe er eine beträchtliche Gefolgschaft.
    MONSIEUR VIGNE
    Aber dieses Buch, Herr Doktor!
    DER DIREKTOR
    Dieses Buch existiert, das stimmt wohl, aber haben Sie es gelesen?
    MONSIEUR VIGNE
    Nein, allerdings noch nicht. Aber dieser Herr hat es mir so trefflich zusammengefasst, dass mir war, als würde ich es auswendig kennen.
    DER DIREKTOR
    Dann irren Sie sich, denn ich weiß aus sicherer Quelle, dass mein Patient es nie gelesen hat.
    MONSIEUR VIGNE
    Wie das, Herr Doktor?
    DER DIREKTOR
    Er war von Beruf Kritiker, folglich besteht seine Methode darin, die Bücher, über die er spricht, nicht zu lesen. Das ist in diesem schönen Beruf so üblich.
    MONSIEUR VIGNE
    Ah, Monsieur, ich sehe, das sind schon wieder diese Pariser Sitten, über die ich nur staunen kann.
    DER DIREKTOR
    Sie sagen es, Monsieur. Eine einzigartige Stadt. Man liebt schöne Gedanken dort derart, dass man den ganzen Tag über sie spricht und keine Zeit mehr hat, über sie zu lesen. Man hängt dem Patriotismus derart fanatisch an, dass man, wenn die Gelegenheit sich bietet, Patriot gleich für zwei oder drei Länder ist. Man zerreißt sich gegenseitig im Namen des Friedens und steckt einander im Namen der Freiheit ins Zuchthaus.
    MONSIEUR VIGNE
    Woher kommt das nur, frage ich Sie?
    DER DIREKTOR
    Das sind die Folgen des Nachdenkens. Was nun dieses Buch angeht, so darf ich behaupten, es sehr gründlich gelesen zu haben, und ich habe darin nichts als eine äußerst abstrakte Philosophie gefunden, die ebenso plausibel ist wie manche andere.
    MONSIEUR VIGNE
    Also ist diese Philosophie nicht verrückt.
    DER DIREKTOR
    Das kann ich nicht beurteilen, Monsieur. Doch da Sie mich nach meiner Meinung fragen, kann ich sagen, dass es nicht gut ist, wenn eine Philosophie zu viele Leute ergreift. Philosophen sollten allein sein. Sie sind wie Lepröse, man sollte sie etwas abseits halten. So ziehen sie einen Nutzen aus ihrer Krankheit und schaden niemandem. So können sie nachdenken, den Anschein der Vernunft wahrend, und am Ende die Welt etwas lehren. ( SOPHIE gibt ihm Zeichen.) Was nun diese besondere Philosophie angeht, lassen Sie mich Ihnen sagen, dass sie mir zwar sehr geeignet scheint, das Denken einiger wackerer Geister zu schärfen, aber durchaus nicht dazu, Familien anzuleiten oder gar über Eheschließungen zu entscheiden.
    MONSIEUR VIGNE
    Eheschließungen! Ah! Mein Gott, das bringt mich darauf, auf was für Abwege ich geraten war! Ah! Monsieur Mélusin, meine Tochter, meine Frau, Monsieur Mélusin!
    SOPHIE
    Hier sind wir, Vater!
    MONSIEUR VIGNE
    Ah! Sagt mir wenigstens,

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