Saemtliche Dramen
Anstrengung ist besser als ein kurzes Gelingen. Übrigens sind ja weder Sie noch ich in Eile, denn zunächst gilt es ja, die Ankunft des Kindes abzuwarten.
MONSIEUR MÉLUSIN
Des Kindes, welchen Kindes?
MONSIEUR VIGNE
Wie denn? Haben Sie ein so kurzes Gedächtnis? Na, Ihres Kindes!
MONSIEUR MÉLUSIN
Aber Monsieur, warum müssen wir darauf warten?
MONSIEUR VIGNE
Weil Sie sich vielleicht geirrt haben, Monsieur, und weil die Natur launenhaft ist, das können Sie einem Pharmazeuten glauben. Wenn es kein Kind gibt, sind Sie nicht in der Verantwortung, und wenn Sie nicht in der Verantwortung sind, sind Sie durchaus nicht engagiert. Und wenn Sie nicht engagiert sind, lieben Sie meine Tochter nicht, das liegt auf der Hand. Adieu, Monsieur Mélusin. Vergessen Sie nicht die Liebe des Menschen und üben Sie sie in geschlossener Gesellschaft. So werden Sie sich befreien, und so werden Sie als Folge daraus heiraten.
( MONSIEUR MÉLUSIN geht ab. – MONSIEUR NÉANT kommt herein.)
Ah! Mein lieber Monsieur Néant. – Haben Sie sich ausgeruht? Ich selbst, das spüre ich, werde ein paar Tage lang nicht schlafen können, so aufgewühlt bin ich von dem, was ich habe lernen dürfen.
MONSIEUR NÉANT
Ich kenne diesen Rausch, Monsieur, und um die Wahrheit zu sagen, habe ich nie wieder Schlaf gefunden außer in den seltenen Momenten, wo ich allzu oft und allzu lang engagiert gewesen bin gegenüber einer jungen und blonden Person, die ich mir zur Gesellschaft erwählt habe.
MONSIEUR VIGNE
Ah! Lieber Monsieur Néant, machen Sie alles, indem … äh, na, Sie verstehen schon.
MONSIEUR NÉANT
Freilich, «… heißt sein für jedermann, ohne irgendetwas zu sein». Apropos, Monsieur, habe ich mich schon nach Ihren politischen Ansichten erkundigt?
MONSIEUR VIGNE
Nun ja, Monsieur, ich bin immer ein aufrechter Republikaner gewesen und ein großer Anhänger der traditionellen Freiheiten.
MONSIEUR NÉANT
Das ist abermals ein Punkt, Monsieur, den wir in den kommenden Wochen bearbeiten werden. Denn Sie sprechen über diese Freiheiten merkwürdigerweise, als existierten sie bereits in sich.
MONSIEUR VIGNE
Ist das denn nicht so?
MONSIEUR NÉANT
Es gibt keine andere Freiheit als jene, die wir uns durch sämtliche Taten unseres Lebens erobern müssen. Mit anderen Worten, wir befinden uns immer auf dem Weg dahin, frei zu sein, sind es aber in Wahrheit nie.
MONSIEUR VIGNE
Wir werden nie frei sein?
MONSIEUR NÉANT
Doch, Monsieur, Sie werden frei sein, doch erst, wenn Sie tot sind.
MONSIEUR VIGNE
Ah! Damit beruhigen Sie mich voll und ganz.
MONSIEUR NÉANT
Sie sehen also, es ist sinnlos, Republikaner zu sein, und Sie können über die Republik erst reden, wenn Ihr letztes Stündlein geschlagen hat.
MONSIEUR VIGNE
Dabei hätte ich gedacht, wir lebten in einer Republik und hätten alle Freiheit, uns zu äußern und unsere Regierung zu wählen.
MONSIEUR NÉANT
Das war eine Illusion, und wenn Sie meinem Gedankengang ein wenig folgen können, werden Sie erkennen, dass es in Frankreich erst dann eine Republik geben wird, wenn die Franzosen ausgestorben sind.
MONSIEUR VIGNE
In der Tat, das hatte ich nie bemerkt, aber jetzt erkenne ich es klar und deutlich. (Pause.) Was ich allerdings weniger deutlich erkenne, ist, was ich bei den nächsten Wahlen machen soll.
MONSIEUR NÉANT
Na, das ist sehr einfach, mein Herr, denn Sie können nicht frei sein, ohne Ihr Leben lang für die Freiheit gekämpft zu haben, und Sie können nur kämpfen, wenn Sie unterdrückt werden, folglich werden Sie Ihre Freiheitsliebe bekunden und zugleich für diejenigen stimmen, die Ihre Freiheit unterdrücken wollen.
( MADAME VIGNE kommt herein.)
MADAME VIGNE
Was muss ich hören, Monsieur Vigne. Es heißt, Sie widersetzen sich dieser Heirat, die so viele Vorteile bietet, und wollen ihr erst zustimmen, wenn Ihre Tochter einen kleinen Bankert zur Welt gebracht hat?
MONSIEUR VIGNE
So ist es, liebe Frau, und aus guten Gründen.
MADAME VIGNE
Ich brenne darauf, sie zu hören.
MONSIEUR VIGNE
Leider werden Sie sie nicht begreifen, und ich werde Sie einmal mehr an den Herd zurückschicken müssen.
MADAME VIGNE
Und ich werde nicht an den Herd zurückkehren, ohne Ihnen gründlich Bescheid gesagt zu haben, was für ein Verrückter Sie geworden sind durch den Umgang mit diesem hässlichen Affen hier.
MONSIEUR NÉANT
Dieser hässliche Affe, Madame, gehört zur Gattung der Denker, und Sie sollten zwei Mal hinsehen, bevor Sie so mit mir reden.
MADAME VIGNE
Für
Weitere Kostenlose Bücher