Saemtliche Dramen
lebendig erhalten, bis er hat beichten können. So etwas erhält von Gott die Liebe zum Kreuz.
CURCIO
Sohn meiner Seele! … Nein, er kann nicht unglücklich gewesen sein, dass er in seinem tragischen Tod eine solche Gnade erhielt! Jetzt endlich wird Julia das Ausmaß ihres Verbrechens erkennen.
JULIA
Mein Gott, hilf! Was muss ich hören? … Was sind das für Wunder? … Ich begehrte Eusebio und war Eusebios Schwester! … So müssen mein Vater und die ganze Welt von meinen Todsünden hören! Ich selbst, entsetzt von meinen Verirrungen, will sie allen ins Gesicht schreien! (Sie nimmt die Maske ab.) Alle, die unter dem Himmel leben, sollen wissen, dass ich Julia bin, Julia aus schändlicher Familie, Julia, von allen schlechten Frauen die schlimmste. Und da ich meine Sünde öffentlich bekanntgegeben habe, wird auch meine Buße von nun an öffentlich sein. Ich werde umherziehen und die Welt um Vergebung bitten für das finstere Beispiel, das ich ihr gegeben, und Gott um sein Erbarmen für mein verbrecherisches Leben.
CURCIO
Du, vor der das Verbrechen selbst sich schämen würde! Ich werde dich mit meinen eigenen Händen töten, damit dein Tod genauso schrecklich ist wie dein Leben!
JULIA
Heiliges Kreuz, komm mir zu Hilfe! Steh mir bei, und ich schwöre, ich will von neuem in deinem Zeichen leben und ein zweites Mal geboren werden. Lebt wohl!
(Sie klammert sich an das Kreuz, zu dessen Füßen Eusebio liegt, und entschwindet gen Himmel.)
ALBERTO
Ein Wunder!
CURCIO
Und mit dieser bewundernswerten Auflösung beendet der Verfasser glückvoll
Die Liebe zum Kreuz
.
Ende
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Nachwort
Der Humanist auf der Bühne: Albert Camus als Dramenautor
Camus mag bei uns weithin eher als Philosoph und Prosa-Autor gelten denn als Dramatiker, doch das geht an seiner biographischen Realität vorbei. Als Bühnenpraktiker – Autor, Übersetzer, Regisseur, Schauspieler – fand er im Theater einerseits eine Gegenwelt zur Oberflächlichkeit des Pariser Intellektuellen- und Schriftstellerbetriebs, doch auch noch mehr als das, nämlich eine Ausdrucksmöglichkeit, die ihm besonders geeignet schien, die Menschen viel direkter zu erreichen als mit Gedrucktem. Bereits als Student in Algier hatte er sein eigenes kleines Theater gegründet. Die dramatische Arbeit stellte für ihn stets mehr als nur einen Nebenstrang seines Schaffens dar, das Theater war für ihn, so der Philosoph und Autor Michel Onfray, «ein Ort existenzieller Wahrheit»: «politische Metapher, ethische Bühne, existenzielle Tröstung (…) und Gelegenheit zur Volksbildung». Camus, der empathische, mit glutvoller Wärme begabte Humanist: In seinen Theatertexten und auf der Bühne kommt er uns besonders nah; so war es zu seinen Lebzeiten und so ist es heute, gut fünfzig Jahre nach seinem Tod.
Theaterleute beschäftigen sich kontinuierlich mit seinen Stücken, von denen meist mehrere auf den Spielplänen deutschsprachiger Bühnen stehen. Camus ist mit seinen Dramen ein moderner Klassiker geworden: ein guter Grund, zum hundertsten Geburtstag des Autors seine Stücke in Neuübersetzungen zu veröffentlichen (Camus’ Prosa wurde schon vor einigen Jahren von Uli Aumüller für Rowohlt neu übersetzt).
Zwei Seiten seiner Stücke motivieren besonders, sich mit ihnen auseinanderzusetzen: Wie Camus Menschen in Konflikt- und Krisensituationen schildert, das berührt und bewegt. Und seine politischen Konstellationen und Gedanken sind immer noch und immer wieder aktuell. Kein Wunder, dass vor allem die dezidiert politischen Stücke bei uns am häufigsten gespielt werden, neben denjenigen, bei denen menschliche, seelische Verstrickungen im Vordergrund stehen. Werfen wir einen Blick auf die deutschsprachigen Spielpläne in den letzten zehn Jahren:
Sechsunddreißig Theater zeigten «Die Gerechten», das Drama um die russischen Zar-Attentäter (dass sich Theaterleute nach den Anschlägen auf das World Trade Center im September 2001 verstärkt für diesen Stoff interessierten, geht aus den zahlreichen Programmheften hervor).
«Das Missverständnis», das antik anmutende Schicksalsdrama um die existenzielle Blindheit einer mörderischen Mutter und ihrer Tochter-Komplizin, wurde in diesem Zeitraum achtzehn Mal inszeniert.
«Caligula» (von Uli Aumüller neu übersetzt) war in vierzehn Produktionen zu sehen – ein Stück, das ein politisches Thema in einen antiken Rahmen stellt: der Despot, der, so Camus, zu Recht die Götter, doch zu Unrecht die
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