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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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seines Herzens zu leben und zu lieben.
    CALIGULA
    Jeder erringt seine Reinheit, wie er kann. Ich tue es, indem ich das Wesentliche anstrebe. Trotz alldem übrigens könnte ich dich töten lassen.
    (Er lacht.)
    Das wäre die Krönung meiner Laufbahn.
    ( CALIGULA steht auf und stößt den Spiegel an, der sich um sich selbst dreht. Er geht mit hängenden Armen, fast ohne Gebärden im Kreis wie ein Tier.)
    Komisch. Wenn ich nicht töte, fühle ich mich allein. Die Lebenden genügen nicht, um das Universum zu bevölkern und die Langeweile zu vertreiben. Wenn ihr alle da seid, verspüre ich eine maßlose Leere, in die ich nicht hineinsehen kann. Nur unter meinen Toten fühle ich mich wohl.
    (Er stellt sich leicht vorgebeugt dem Publikum gegenüber auf; CAESONIA hat er vergessen.)
    Sie sind wirklich. Sie sind wie ich. Sie warten auf mich und bedrängen mich.
    (Er schüttelt den Kopf.)
    Ich habe lange Zwiegespräche mit diesem oder jenem, der mich schreiend um Gnade anflehte und dem ich die Zunge abschneiden ließ.
    CAESONIA
    Komm. Streck dich neben mir aus. Leg deinen Kopf in meinen Schoß.
    ( CALIGULA gehorcht.)
    So fühlst du dich wohl. Alles ist still.
    CALIGULA
    Alles ist still! Du übertreibst. Hörst du nicht dieses Klirren von Eisen?
    (Man hört Ketten klirren.)
    Vernimmst du nicht diese tausend leisen Stimmen, die den lauernden Hass verraten?
    (Gemurre.)
    CAESONIA
    Niemand würde es wagen …
    CALIGULA
    Doch, die Dummheit.
    CAESONIA
    Sie tötet nicht. Sie macht weise.
    CALIGULA
    Sie ist mörderisch, Caesonia. Sie ist mörderisch, wenn sie sich beleidigt fühlt. Oh, nicht die, deren Söhne oder Väter ich getötet habe, werden mich ermorden. Sie haben verstanden. Sie sind mit mir, sie haben denselben Geschmack im Mund. Aber die anderen, die ich verhöhnt und lächerlich gemacht habe: Gegen ihre Eitelkeit bin ich wehrlos.
    CAESONIA (heftig)
    Wir werden dich verteidigen, wir, die dich lieben, sind noch zahlreich.
    CALIGULA
    Ihr seid immer weniger zahlreich. Dafür habe ich selbst gesorgt. Und außerdem – wir wollen gerecht sein – habe ich nicht nur die Dummheit gegen mich, sondern auch die Rechtschaffenheit und den Mut derer, die glücklich sein wollen.
    CAESONIA (wie zuvor)
    Nein, sie werden dich nicht töten. Sonst würde etwas vom Himmel Gekommenes sie verschlingen, ehe sie Hand an dich gelegt hätten.
    CALIGULA
    Vom Himmel! Es gibt keinen Himmel, arme Frau.
    (Er setzt sich.)
    Aber warum auf einmal so viel Liebe? Das gehört nicht zu unseren Abmachungen.
    CAESONIA (ist aufgestanden und geht herum)
    Ist es denn nicht genug, zu sehen, wie du die anderen tötest – muss ich auch noch erfahren, dass du getötet wirst? Es ist wohl nicht genug, dich, grausam und zerrissen, wie du bist, zu empfangen, deinen Mordgeruch zu riechen, wenn du dich auf mich legst! Jeden Tag sehe ich das, was menschliche Züge hat, etwas mehr in dir sterben.
    (Sie wendet sich ihm zu.)
    Ich bin alt und schon bald hässlich, das weiß ich. Aber durch den Kummer um dich habe ich nun eine so große Seele, dass es nichts mehr ausmacht, wenn du mich nicht liebst. Ich möchte nur deine Genesung erleben; du bist doch noch ein Kind. Ein ganzes Leben liegt vor dir! Und was verlangst du denn, was größer wäre als ein ganzes Leben?
    CALIGULA (steht auf und sieht sie an)
    Du bist schon sehr lange hier.
    CAESONIA
    Das ist wahr. Aber du wirst mich behalten, nicht wahr?
    CALIGULA
    Ich weiß nicht. Ich weiß nur, warum du hier bist: wegen all jener Nächte, in denen die Lust heftig und freudlos war, und wegen all dem, was du an mir kennst.
    (Er nimmt sie in die Arme und biegt ihren Kopf etwas zurück.)
    Ich bin neunundzwanzig Jahre. Das ist wenig. Aber in dieser Stunde, in der mir mein Leben dennoch so lang vorkommt, so reich an Ausbeute, so erfüllt eben, bleibst du als letzter Zeuge. Und ich kann mich einer Art schändlicher Zärtlichkeit für die alte Frau, die du sein wirst, nicht erwehren.
    CAESONIA
    Sag, dass du mich behalten willst!
    CALIGULA
    Ich weiß nicht. Ich weiß nur, und das ist das Schrecklichste, dass diese schändliche Zärtlichkeit das einzige reine Gefühl ist, das mein Leben mir bisher geschenkt hat.
    ( CAESONIA entzieht sich seinen Armen, CALIGULA folgt ihr. Sie schmiegt ihren Rücken an ihn, er schließt die Arme um sie.)
    Wäre es nicht besser, wenn der letzte Zeuge verschwände?
    CAESONIA
    Das ist bedeutungslos. Ich bin glücklich über das, was du mir gesagt hast. Aber warum kann ich dieses Glück nicht mit dir

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