Saemtliche Dramen
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CALIGULA
Wer sagt dir, dass ich nicht glücklich bin?
CAESONIA
Das Glück ist großzügig. Es lebt nicht von Zerstörungen.
CALIGULA
Dann gibt es eben zweierlei Glück, und ich habe das der Mörder gewählt. Denn ich bin glücklich. Es gab eine Zeit, da glaubte ich die äußerste Grenze des Schmerzes erreicht zu haben. Doch nein, man kann noch weitergehen. Am Ende dieser Landschaft gibt es ein empfindungsloses, prächtiges Glück. Sieh mich an.
(Sie wendet sich ihm zu.)
Ich muss lachen, Caesonia, wenn ich daran denke, dass ganz Rom es jahrelang vermieden hat, den Namen Drusilla auszusprechen. Rom hat sich nämlich jahrelang geirrt. Die Liebe genügt mir nicht, das ist mir damals klargeworden. Das wird mir auch heute wieder klar, wenn ich dich ansehe. Einen Menschen lieben heißt bereit sein, mit ihm alt zu werden. Zu dieser Liebe bin ich nicht fähig. Eine alte Drusilla, das war viel schlimmer als eine tote Drusilla. Man glaubt, ein Mensch leide, weil der andere, den er liebt, innerhalb eines Tages stirbt. Aber sein wahres Leid ist weniger oberflächlich: es ist die Feststellung, dass auch der Kummer nicht anhält. Selbst der Schmerz ist ohne Sinn. Du siehst, ich hatte keine Entschuldigung, weder den bloßen Schatten einer Liebe noch die Bitterkeit der Melancholie. Ich hatte keinen Vorwand. Aber heute bin ich noch freier als vor Jahren, denn ich bin befreit von der Erinnerung und der Illusion.
(Er lacht leidenschaftlich.)
Ich weiß, dass nichts von Dauer ist! Das zu wissen! Wir sind zwei oder drei in der Geschichte, die diese Erfahrung wirklich gemacht und dieses wahnsinnige Glück erlangt haben. Caesonia, du hast eine sehr seltsame Tragödie bis zum Ende mit angesehen. Es ist Zeit, dass für dich der Vorhang fällt.
(Er tritt wieder hinter CAESONIA und legt seinen Unterarm um ihren Hals.)
CAESONIA (mit Grausen)
Ist das denn Glück, diese entsetzliche Freiheit?
CALIGULA (nach und nach CAESONIA s Kehle zudrückend)
Dessen kannst du sicher sein, Caesonia. Ohne sie wäre ich ein zufriedener Mensch gewesen. Dank ihr habe ich die göttliche Klarsicht des Einsamen erobert.
(Er wird immer erregter, während er CAESONIA allmählich erwürgt. Sie überlässt sich ihm widerstandslos, die leicht geöffneten Hände vorgestreckt. Über ihr Ohr gebeugt, spricht er zu ihr.)
Ich lebe, ich töte, ich übe die berauschende Macht des Zerstörers aus, neben der die Macht des Schöpfers wie ein Nachäffen erscheint. Das heißt glücklich sein. Das ist das Glück, diese unerträgliche Befreiung, diese allumfassende Verachtung, das Blut, der Hass um mich herum, dieses unvergleichliche Alleinsein des Menschen, der sein ganzes Leben vor Augen behält, die maßlose Freude des ungestraften Mörders, diese unerbittliche Logik, die Menschenleben zermalmt (lacht) , die dich zermalmt, Caesonia, um endlich die ewige Einsamkeit zu vollenden, die ich ersehne.
CAESONIA (wehrt sich schwach)
Gajus! Mein Kleiner …
CALIGULA (immer erregter)
Nein, keine Zärtlichkeit! Es muss Schluss gemacht werden, denn die Zeit drängt. Die Zeit drängt, liebe Caesonia!
( CAESONIA röchelt. CALIGULA schleppt sie zum Lager und lässt sie darauffallen.)
(Sieht sie verstört an; mit heiserer Stimme) Und auch du warst schuldig. Aber Töten ist nicht die Lösung.
14 . Szene
( CALIGULA dreht sich um sich selbst und geht verstört zum Spiegel.)
CALIGULA
Caligula! Auch du, auch du bist schuldig. Nun ja, ein bisschen mehr, ein bisschen weniger! Aber wer würde es wagen, mich zu verurteilen, in dieser Welt ohne Richter, in der niemand unschuldig ist!
(Mit dem Ausdruck tiefster Verzweiflung presst er sich an den Spiegel.)
Du siehst ja, Helicon ist nicht gekommen. Ich werde den Mond nicht besitzen. Aber wie bitter ist es, recht zu haben und bis zur Vollendung gehen zu müssen. Ich habe nämlich Angst vor der Vollendung. Waffenlärm! Das ist die Unschuld, die ihren Triumph vorbereitet. Warum bin ich nicht an ihrer Stelle! Ich habe Angst. Wie ekelhaft, dieselbe Feigheit in der eigenen Seele zu verspüren, für die ich die anderen verachtet habe. Aber das macht nichts. Die Angst hält auch nicht an. Ich werde jene große Leere wiederfinden, in der die Seele zur Ruhe kommt.
(Er tritt etwas zurück, dann stellt er sich wieder vor den Spiegel. Er wirkt ruhiger. Er beginnt wieder zu sprechen, aber leiser und konzentrierter.)
Alles scheint so kompliziert. Dabei ist alles so einfach. Wenn ich den Mond bekommen hätte, wenn die Liebe genügte, wäre
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