Saemtliche Dramen
der alles durcheinanderbrachte. Er dachte, er könne mächtig und gütig zugleich sein. Ihm fehlte es an Konsequenz und Offenheit, das muss man schon sagen. Ich habe mich ganz und gar für die Macht entschieden, für die Unterwerfung, und ihr wisst jetzt, das ist eine ernstere Sache als die Hölle.
Seit Jahrtausenden überziehe ich eure Städte und Felder mit Massengräbern. Meine Toten haben den Sand in Libyn und im schwarzen Äthiopien gedüngt. Der Boden Persiens ist noch fett vom Schweiß meiner Leichen. Ich habe Athen mit reinigenden Feuern erfüllt, habe Tausende von Scheiterhaufen an seinen Stränden errichtet und das griechische Meer mit menschlicher Asche überzogen, bis es grau war. Die Götter, sogar die armen Götter waren angewidert bis ans Herz. Und als die Kathedralen auf die Tempel folgten, füllten meine schwarzen Reiter sie mit schreienden Leibern. Jahrhundert um Jahrhundert habe ich auf allen fünf Kontinenten getötet, rastlos und gelassen.
Das war natürlich gar nicht übel, und ziemlich zweckdienlich war es auch. Aber ganz erfüllt hat es den Zweck nicht. Ein Toter ist ganz erfrischend, so sehe ich es, aber er bringt nichts. Schließlich und endlich kann er einen Sklaven nicht ersetzen. Das Ideal besteht darin, mit Hilfe weniger, gut gewählter Toter viele Sklaven zu bekommen. Heute ist die Technik dazu ausgereift. Darum töten oder demütigen wir erst die notwendige Anzahl von Menschen und zwingen dann ganze Völker in die Knie. Keine Schönheit, keine Größe kann uns widerstehen. Wir werden über alles triumphieren.
DIE SEKRETÄRIN
Über alles außer über den Stolz.
DIE PEST
Vielleicht wird auch der Stolz irgendwann müde …
Die Menschen sind intelligenter, als man denkt. (In der Ferne Durcheinander und Trompetentöne.) Ah! Da kommt meine Chance zurück, eure alten Herrscher, und ihr werdet sehen, sie sind blind für die Wunden anderer, trunken vor Trägheit und Vergessen. Es wird euch ermüden zu sehen, wie die Dummheit kampflos triumphiert. Grausamkeit empört, Dummheit entmutigt. Ruhm und Ehre den Stupiden, denn sie bahnen mir den Weg! Sie sind meine Kraft und meine Hoffnung! Vielleicht wird ein Tag kommen, an dem jedes Opfer sinnlos wirkt, an dem der unendliche Schrei eurer dreckigen Revolten endlich verstummt. An diesem Tag regiere ich wahrhaftig in der endgültigen Ruhe der Knechtung. (Lacht) Es ist nur eine Frage der Beharrlichkeit, nicht wahr? Aber keine Sorge, ich habe einen erprobten Dickschädel. (Die PEST geht nach hinten.)
DIE SEKRETÄRIN
Ich bin älter als Sie, und ich weiß, dass die Liebe der Menschen auch sehr beharrlich sein kann.
DIE PEST
Liebe? Was soll das sein? (Die PEST geht.)
DIE SEKRETÄRIN
Steh auf, Frau! Ich bin müde. Bringen wir es hinter uns.
( VICTORIA steht auf, doch DIEGO fällt zugleich. Die SEKRETÄRIN tritt ein wenig in den Schatten zurück. VICTORIA stürzt zu DIEGO .)
VICTORIA
Oh! Diego, was hast du mit unserer Liebe gemacht?
DIEGO
Leb wohl, Victoria. Ich bin froh.
VICTORIA
Sag das nicht, Liebster. Das ist ein Männerwort, ein schreckliches Männerwort. (Sie weint.) Niemand darf froh sein, dass er stirbt.
DIEGO
Ich bin aber froh, Victoria. Ich habe getan, was getan werden musste.
VICTORIA
Nein. Du hättest dich für mich entscheiden müssen statt für den Himmel, hättest mich der ganzen Erde vorziehen müssen.
DIEGO
Ich bin mit dem Sterben im Reinen, das ist meine Kraft. Aber eine Kraft, die alles andere verschlingt, das Glück hat keinen Platz mehr.
VICTORIA
Was habe ich von deiner Kraft? Geliebt habe ich einen Menschen.
DIEGO
Dieser Kampf hat mich austrocknen lassen. Ich bin kein Mensch mehr, und es ist nur gerecht, dass ich sterbe.
VICTORIA (wirft sich über ihn)
Dann nimm mich mit!
DIEGO
Nein, diese Welt braucht dich. Sie braucht Frauen, damit sie zu leben lernt. Wir waren immer nur fähig zu sterben.
VICTORIA
Ah, es war dir wohl zu einfach, einander in aller Stille zu lieben und zu erleiden, was erlitten sein muss! Deine Angst war mir lieber.
DIEGO (sieht VICTORIA an)
Ich habe dich aus ganzer Seele geliebt.
VICTORIA (schreit auf)
Das war nicht genug! O nein! Das war lange nicht genug! Was soll ich mit deiner Seele und mehr nicht?
(Die SEKRETÄRIN nähert ihre Hand DIEGO . Die Pantomime des Sterbens beginnt. Die FRAUEN eilen zu VICTORIA und umringen sie.)
DIE FRAUEN
Weh ihm! Weh allen, die unsere Körper im Stich lassen! Vor allem wehe uns, die im Stich gelassen werden und jahrein, jahraus diese Welt
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