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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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gegen dein eigenes Leben geschehen oder gegen die Freiheit dieser Stadt. Wähle.
    ( DIEGO betrachtet VICTORIA . Im Hintergrund geknebelte Stimmen. DIEGO wendet sich zum CHOR .)
    DIEGO
    Sterben ist schwer.
    DIE PEST
    Sehr schwer.
    DIEGO
    Aber es ist für alle schwer.
    DIE PEST
    Dummkopf! Zehn Jahre Liebe dieser Frau wiegen mehr als ein Jahrhundert Freiheit dieser Leute.
    DIEGO
    Die Liebe dieser Frau ist mein eigenes Königreich. Ich kann damit tun, was ich will. Aber die Freiheit dieser Menschen gehört ihnen. Ich kann nicht darüber verfügen.
    DIE PEST
    Man kann nicht glücklich sein, ohne anderen wehzutun. Das ist die irdische Gerechtigkeit.
    DIEGO
    Ich bin nicht bereit, so eine Gerechtigkeit hinzunehmen.
    DIE PEST
    Wer verlangt, dass du sie hinnimmst? Die Weltordnung unterwirft sich nicht deinen Wünschen! Wenn du sie ändern willst, lass deine Träume fahren und nimm die Realitäten zur Kenntnis.
    DIEGO
    Nein. Ich kenne das Rezept. Man muss töten, um den Mord zu beseitigen, muss Gewalt üben, um das Unrecht abzuschaffen. So geht das seit Jahrhunderten! Seit Jahrhunderten lassen Herrscher deiner Art die Wunden der Welt schwären, die sie angeblich heilen wollen, stattdessen preisen sie ihr Rezept, weil niemand sie auslacht.
    DIE PEST
    Niemand lacht, denn ich leiste etwas. Ich bin effektiv.
    DIEGO
    Effektiv, genau! Und praktisch. Wie ein Beil.
    DIE PEST
    Man braucht sich diese Leute doch nur anzusehen, dann weiß man, dass jede Gerechtigkeit gut genug für sie ist.
    DIEGO
    Seit sich die Tore dieser Stadt geschlossen haben, hatte ich alle Zeit der Welt, um sie mir anzusehen.
    DIE PEST
    Dann weißt du ja jetzt, dass sie dich immer alleinlassen werden. Und der Alleingelassene muss untergehen.
    DIEGO
    Nein, das stimmt nicht! Wenn ich allein wäre, wäre alles einfach. Aber sie sind bei mir, ob sie wollen oder nicht.
    DIE PEST
    Eine schöne Herde, das ist wahr, aber sie stinkt!
    DIEGO
    Ich weiß, sie sind nicht ohne Makel. Ich aber auch nicht. Und ich bin bei ihnen geboren. Ich lebe für meine Stadt und für meine Zeit.
    DIE PEST
    Die Zeit der Sklaven!
    DIEGO
    Die Zeit der freien Menschen!
    DIE PEST
    Du erstaunst mich. Wo sind die denn? Ich kann keine sehen.
    DIEGO
    In deinen Lagern und deinen Massengräbern. Die Sklaven sitzen auf dem Thron.
    DIE PEST
    Steck deine freien Menschen in die Uniform meiner Polizei, und du wirst sehen, was aus ihnen wird.
    DIEGO
    Es stimmt, sie können träge sein und grausam. Darum haben sie nicht mehr Recht auf die Macht als du. Kein Mensch ist so gut, dass man ihm die absolute Macht zugestehen dürfte. Aber darum haben die Menschen auch das Recht auf Mitleid, das dir verweigert werden wird.
    DIE PEST
    Die Trägheit besteht darin, zu leben, wie sie es tun, geplagt, immer auf halber Höhe.
    DIEGO
    Auf halber Höhe halte ich zu ihnen. Und wenn ich der armen Wahrheit nicht treu bin, die ich mit ihnen teile, wie könnte ich dann dem treu sein, was an mir groß und einzigartig ist?
    DIE PEST
    Ich kenne nur eine einzige Treue, und das ist die Verachtung. (Deutet auf den im Hof hingesunkenen CHOR ) Und mit Grund!
    DIEGO
    Ich verachte nur die Henker. Diese Menschen sind größer als du, was du auch tust. Wenn sie einmal töten sollten, dann in vorübergehender Verblendung. Aber du massakrierst planmäßig und logisch. Spotte nicht darüber, dass sie den Kopf gebeugt haben, seit Jahrhunderten bedrücken sie die Kometen der Angst. Verlach nicht ihre Furcht, seit Jahrhunderten sterben sie und wird ihre Liebe zerstört. Für ihr schlimmstes Verbrechen wird es immer eine Entschuldigung geben. Aber für das Verbrechen, das schon seit jeher an ihnen verübt wird und das du jetzt in deine dreckige Ordnung gebracht hast, für dieses Verbrechen kann ich keine Entschuldigung finden. (Die PEST tritt auf ihn zu.) Ich senke den Blick nicht vor dir!
    DIE PEST
    Du senkst ihn nicht, das sehe ich. Dann will ich dir sagen, dass du eben die letzte Prüfung bestanden hast. Wenn du mir die Stadt überlassen hättest, hättest du diese Frau verloren und dein Leben auch. Jetzt hat die Stadt alle Chancen, frei zu sein. Du siehst, es braucht nur einen Verrückten wie dich … Dieser Verrückte stirbt zwar. Aber alles andere ist früher oder später gerettet! (Düster) Aber alles andere verdient nicht, gerettet zu werden.
    DIEGO
    Der Verrückte stirbt …
    DIE PEST
    Ach? Schon wieder unsicher? Aber nein, das ist der klassische Augenblick des Zögerns. Der Stolz wird umso größer sein.
    DIEGO
    Ich hatte mich nach Ehre

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