Sämtliche Dramen
Höflichkeit gern laut verkündet
Des Busens innre Liebe. Escalus,
Kommt her; steht hier zu meiner andern Hand –
Ja, ihr seid wackre Stützen! –
Bruder Peter und Isabella treten auf.
Peter
.
Nun ist es Zeit; sprecht laut und kniet vor ihm!
Isabella
.
Gerechtigkeit, mein Fürst! Lenkt Euern Blick
Auf die gekränkte – ach! Gern sagt’ ich, Jungfrau! –
O edler Fürst, entehrt nicht Euer Auge,
Auf irgendeinen andern Gegenstand es wendend,
Bis Ihr vernommen die gerechte Klage
Und Recht mir zugesprochen! Recht, Recht, Recht! –
Herzog
.
Gekränkt? Worin? Von wem? Erzählt es kurz:
Hier ist Lord Angelo, der schafft Euch Recht;
Entdeckt ihm Euern Fall!
Isabella
.
O edler Herzog,
Ihr heißt Erlösung mich beim Teufel flehn!
Hört selbst mich an; denn was ich reden muß,
Heischt Strafe gegen mich, glaubt Ihr es nicht;
Sonst schreit’s um Rache. Hört! O hört mich hier! –
Angelo
.
Mein Fürst, ich sorg’, es hat ihr Kopf gelitten.
Sie bat um Gnade mich für ihren Bruder,
Der starb im Lauf des Rechts.
Isabella
.
Im Lauf des Rechts? –
Angelo
.
Und bitter wird sie nun und seltsam reden.
Isabella
.
Höchst seltsam, doch höchst wahrhaft werd’ ich reden.
Daß Angelo meineidig ist; wie seltsam!
Daß Angelo ein Mörder ist; wie seltsam!
Daß Angelo ein dieb’scher Ehebrecher,
Ein Heuchler und ein Jungfrau’nschänder ist:
Ist das nicht seltsam? Seltsam?
Herzog
.
Zehnfach seltsam!
Isabella
.
Nicht wahrer ist’s, daß Angelo er sei,
Als daß dies alles ganz so wahr, als seltsam;
Ja, zehnfach wahrer; Wahrheit bleibt ja Wahrheit,
Wie wir die Summe ziehn!
Herzog
.
Fort mit ihr! Ärmste,
In ihrem Wahnsinn spricht sie so!
Isabella
.
Fürst, ich beschwöre dich (so wahr du glaubst,
Es sei noch andres Heil, als hier auf Erden),
Verwirf mich nicht im Wahn, ich sei gestört
Durch Tollheit! Mach’ nicht zur Unmöglichkeit,
Was nur unglaublich scheint: ’s ist nicht unmöglich!
Ja, der verruchtste Frevler auf der Welt
Kann streng erscheinen, fromm, verschämt, vollkommen,
Wie Angelo: so mag auch Angelo,
In aller Haltung, Würde, Hoheit, Form,
Doch ein Erz-Schurke sein: glaub’, wär’ er wen’ger,
So wär’ er nichts, mein Fürst: doch er ist mehr;
Hätt’ ich mehr Namen nur für Schändlichkeit! –
Herzog
.
Bei meiner Ehre!
Ist sie verrückt, – und anders glaub’ ich nicht, –
So hat ihr Unsinn seltne Form von Sinn;
So viel Zusammenhang von Wort zu Wort,
Als ich bei Tollheit nie gehört.
Isabella
.
O Fürst,
Nicht dieses Wort! Verbanne nicht Vernunft
Als widersprechend; nein, laß deine dienen,
Wahrheit hervorzurufen, die verhüllt
Das Laster birgt, das tugendgleich erscheint.
Herzog
.
Manchem Gesunden fehlt wohl mehr Verstand. –
Was wollt’st du sagen?
Isabella
.
Ich bin die Schwester jenes Claudio, Herr,
Der wegen Unzucht ward verdammt, zu büßen
Mit seinem Haupt; verdammt von Angelo.
Zu mir, Novize einer Schwesterschaft,
Schickte mein Bruder: ein gewisser Lucio
Kam mit der Nachricht ...
Lucio
.
Das bin ich, mit Gunst.
Ich kam, gesandt von Claudio, und bewog sie,
Ihr rührend Fürwort bei Lord Angelo
Für ihren armen Bruder zu versuchen.
Isabella
.
Ja, dieser ist’s.
Herzog
zu Lucio.
Euch hieß man nicht zu reden.
Lucio
.
Nein, gnäd’ger Herr,
Doch auch zu schweigen nicht.
Herzog
.
So tu’ ich’s jetzt;
Ich bitt’ Euch, merkt Euch das, und habt Ihr einst
Zu sprechen für Euch selber, dann fleht zum Himmel,
Daß Ihr nicht stecken bleibt.
Lucio
.
Herr, dafür steh’ ich.
Herzog
.
Steht für Euch selber! Nehmt Euch wohl in acht!
Isabella
.
Der Herr erzählte den Beginn der Sache.
Lucio
.
Recht!
Herzog
.
Recht mag’s sein; doch Ihr seid sehr im Unrecht
Zu sprechen vor der Zeit. – Fahrt fort!
Isabella
.
Ich kam
Zu diesem gottlos schändlichen Regenten, ...
Herzog
.
Das sieht fast aus wie Wahnsinn!
Isabella
.
Herr, verzeiht,
Das Wort paßt für die Sache.
Herzog
.
Kann sein! – Zur Sache denn: fahrt fort, ich bitt’ Euch!
Isabella
.
Kurz denn, – um zu verschweigen, was nicht not:
Wie ich ihm zusprach, wie ich bat und kniete,
Wie er mich abwies, was er drauf erwidert –
Denn so verging viel Zeit, – beginn’ ich gleich
Den schnöden Schluß mit Schmerz und Scham zu klagen.
Nur für das Opfer meiner Keuschheit selbst
An seine lüstern ungezähmte Gier
Sprach er den Bruder frei. Nach langem Kampf
Siegt schwesterliches Mitleid über Ehre,
Und ich ergab mich ihm; doch
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