Sämtliche Dramen
bald gekrönt wird, und der Eid gebrochen?
Mich dünkt, Ihr solltet noch nicht König sein,
Bis Heinrich erst dem Tod die Hand geboten.
Wollt Ihr das Haupt mit Heinrichs Würd’ umfahn,
Des Diadems berauben seine Schläfe,
Dem heil’gen Eid zuwider, da er lebt?
Oh, dies Vergeh’n ist allzu unverzeihlich!
Die Kron’ herunter und das Haupt zugleich,
Und keine Zeit versäumt zum Todesstreich!
Clifford
.
Das ist mein Amt, um meines Vaters willen!
Margareta
.
Nein, haltet! Laßt uns hören, wie er betet.
York
.
Wölfin von Frankreich, reißender als Wölfe,
Von Zunge gift’ger als der Natter Zahn!
Wie übel ziemt es sich für dein Geschlecht,
Daß du, wie eine Amazonentrulle,
Frohlockst beim Weh des, den das Glück gebunden!
Wär’ dein Gesicht nicht wandellos wie Larven,
Durch böser Taten Übung frech geworden,
So wollt’ ich suchen, stolze Königin,
Erröten dich zu machen; denn dir sagen,
Woher du kamst, von wem du abgestammt,
Wär’ g’nug, dich zu beschämen, wärst du nicht schamlos.
Dein Vater heißt von Napel und von beiden
Sizilien König und Jerusalem:
Doch reicher ist ein Bürgersmann in England.
Hat trotzen dich der arme Fürst gelehrt?
Es kann nichts helfen, stolze Königin,
Als daß das Sprichwort sich bewährt: der Bettler,
Der Ritter worden, jagt sein Pferd zu Tod.
Die Schönheit ist’s, was stolz die Weiber macht:
Allein Gott weiß, dein Teil daran ist klein!
Die Tugend ist’s, warum man sie bewundert:
Das Gegenteil macht über dich erstaunen;
Die Sittsamkeit läßt göttlich sie erscheinen:
Und daß sie ganz dir fehlt, macht dich abscheulich.
Du bist von allem Guten so getrennt,
Wie es von uns die Antipoden sind
Und wie der Mittag von der Mitternacht.
O Tigerherz, in Weiberhaut gesteckt!
Du fingst des Kindes Herzblut auf und hießest
Den Vater sich damit die Augen trocknen
Und trägst noch eines Weibes Angesicht?
Weiber sind sanft, mild, mitleidsvoll und biegsam;
Du starr, verstockt, rauh, kieselhart, gefühllos.
Ich sollte rasen? Ja, dir ist’s gewährt.
Ich sollte weinen? Ja, du hast’s erreicht.
Denn Schauer stürmt der wüste Wind herbei,
Und wenn der Sturm sich legt, beginnt der Regen.
Die Totenfeier meines holden Rutlands
Sind diese Tränen; jeder Tropfe schreit
Für seinen Tod um Rache wider euch,
Grausamer Clifford! tückische Französin!
Northumberland
.
Fürwahr, mich rühren seine Leiden so,
Daß ich im Auge kaum die Tränen hemme.
York
.
Die Kannibalen hätten sein Gesicht
Nicht angerührt, mit Blute nicht befleckt;
Doch ihr seid unerbittlicher, unmenschlicher,
O zehnmal mehr, als Tiger von Hyrkanien.
Sieh eines unglücksel’gen Vaters Tränen,
Fühllose Königin: du hast dies Tuch
In meines süßen Jungen Blut getaucht,
Und ich, mit Tränen, wasche weg das Blut.
Behalte du das Tuch und prahl’ damit:
er gibt das Schnupftuch zurück
Und wenn du recht die Leidgeschicht’ erzählst,
Bei Gott, die Hörer werden Tränen weinen,
Ja, heiße Tränen meine Feinde selbst,
Und sagen: »Ach, es war ein kläglich Werk!«
Da, nimm die Kron’ und meinen Fluch mit ihr
Und finde solchen Trost in deiner Not,
Als deine Hand, zu grausam, jetzt mir beut.
Hartherz’ger Clifford, nimm mich von der Welt;
Die Seel’ gen Himmel, auf eu’r Haupt mein Blut!
Northumberland
.
Hätt’ er mir alle Blutsfreund’ auch erschlagen,
Doch müßt’ ich, um mein Leben, mit ihm weinen,
Wie innerliches Leid die Seel’ ihm nagt.
Margareta
.
Wie? Nah am Weinen, Lord Northumberland?
Denkt nur, was er uns allen zugefügt,
Und das wird schnell die weichen Tränen trocknen.
Clifford
.
Das hier für meinen Eid, das für des Vaters Tod.
Ersticht ihn.
Margareta
.
Und dies für unsers sanften Königs Recht.
Ersticht ihn gleichfalls.
York
.
Tu’ auf dein Tor der Gnade, guter Gott!
Durch diese Wunden fliegt mein Geist zu dir.
Stirbt.
Margareta
.
Den Kopf ab! Setzt ihn auf das Tor von York;
So überschaue York nun seine Stadt!
Alle ab.
¶
ZWEITER AUFZUG
Erste Szene
Eine Ebne bei Mortimers Kreuz in Herefordshire.
Trommeln. Eduard und Richard mit ihren Truppen auf dem Marsch.
Eduard
.
Wie unser edler Vater nur entkam?
Und ob er wohl entkommen oder nicht
Von Cliffords und Northumberlands Verfolgung?
Wär’ er gefangen, hätten wir’s gehört;
Wär’ er erschlagen, hätten wir’s gehört;
Wär’ er entkommen, dünkt mich, müßten wir
Die frohe Zeitung schon vernommen haben.
Was macht mein Bruder? Warum so
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