Sämtliche Dramen
Verhör, er kommt sogleich. Ich meld’ Euch an.
Schliesser
.
Das tut.
Diener ab.
Ich frag’ ihn nochmals,
Was er beschließt; vielleicht doch zeigt er Gnade.
Er hat ja nur als wie im Traum gesündigt.
Der Fehl färbt jede Sekt’ und jedes Alter,
Und er drum sterben! –
Angelo tritt auf.
Angelo
.
Nun, was wollt Ihr, Schließer?
Schliesser
.
Befehlt Ihr, Herr, daß Claudio morgen sterbe?
Angelo
.
Sagt’ ich dir nicht schon ja? Befahl ich’s nicht?
Was fragst du denn?
Schliesser
.
Aus Furcht, zu rasch zu sein;
Verzeiht, mein gnäd’ger Herr: ich weiß den Fall,
Daß nach vollzognem Urteil das Gericht
Bereute seinen Spruch.
Angelo
.
Mein sei die Sorge! –
Tut Eure Pflicht, sonst sucht ein ander Amt,
Man wird Euch leicht entbehren.
Schliesser
.
Herr, verzeiht!
Was soll mit Julien, die schon leidet, werden?
Denn ihre Stunde rückt heran.
Angelo
.
Die schafft mir
In ein bequem’res Haus, und das sogleich!
Diener kommt zurück.
Diener
.
Hier ist die Schwester des zum Tod Verdammten,
Die Euch zu sprechen wünscht.
Angelo
.
Hat er ’ne Schwester?
Schliesser
.
Ja, gnäd’ger Herr; ein tugendhaftes Fräulein,
Die bald nun eintritt in die Schwesterschaft,
Wenn’s nicht bereits geschehn.
Angelo
.
Führt sie herein;
Diener ab.
Und die Geschwächte schafft sogleich hinweg;
Reicht ihr notdürft’ge Kost, nicht Überfluß!
Ausfert’gen lass’ ich den Befehl.
Lucio und Isabella treten auf.
Schliesser
.
Gott schütz’ Euch!
Will abgehn.
Angelo
.
Bleibt noch! –
Zu Isabella.
Ihr seid willkommen; was begehrt Ihr?
Isabella
.
Von Gram erfüllt, möcht’ ich Eu’r Gnaden flehn,
Wenn Ihr mich hören wollt –
Angelo
.
Wohlan! Was wünscht Ihr?
Isabella
.
Es gibt ein Laster, mir verhaßt vor allen,
Dem ich vor allen harte Strafe wünsche;
Fürbitten möcht’ ich nicht, allein ich muß –
Fürbitten darf ich nicht, allein mich drängt
Ein Kampf von Wollen und Nichtwollen.
Angelo
.
Weiter!
Isabella
.
Mein Bruder ward verdammt, den Tod zu leiden;
Ich fleh’ Euch an, laßt seine Sünde tilgen,
Den Bruder nicht!
Schliesser
.
Gott schenk’ dir Kraft, zu rühren!
Angelo
.
Ich soll die Schuld verdammen, nicht den Täter?
Verdammt ist jede Schuld schon vor der Tat.
Mein Amt zerfiele ja in wahres Nichts,
Straft’ ich die Schuld, wie das Gesetz begehrt,
Und ließe frei den Täter.
Isabella
.
O gerecht, doch streng! –
So hatt’ ich einen Bruder. Gott beschirm’ Euch!
Will gehn.
Lucio
zu Isabella.
Gebt’s so nicht auf! Noch einmal dran, und bittet;
Kniet vor ihm nieder, hängt an seinem Mantel!
Ihr seid zu kalt; verlangtet Ihr ’ne Nadel,
Ihr könntet nicht mit zahmrer Zunge bitten. –
Noch einmal zu ihm, frisch! –
Isabella
.
So muß er sterben? –
Angelo
.
Jungfrau, ’s ist keine Rettung.
Isabella
.
O ja! Ich denk’. Ihr könntet ihm verzeihn,
Und weder Gott noch Menschen zürnten Euch.
Angelo
.
Ich will’s nicht tun.
Isabella
.
Doch könnt Ihr’s, wenn Ihr wollt?
Angelo
.
Was ich nicht will, das kann ich auch nicht tun.
Isabella
.
Doch könntet Ihr’s ohn’ Unrecht an der Welt,
Wenn Euer Herz die gleiche Rührung fühlte
Wie meins?
Angelo
.
Er ward verurteilt, ’s ist zu spät.
Lucio
zu Isabella.
Ihr seid zu kalt!
Isabella
.
Zu spät? O nein doch! Mein gesprochnes Wort,
Ich kann es widerrufen! Seid gewiß,
Kein Attribut das Mächtige verherrlicht,
Nicht Königskrone, Schwert des Reichsverwesers,
Des Marschalls Stab, des Richters Amtsgewand,
Keins schmückt sie alle halb mit solchem Glanz,
Als Gnade tut. War er an Eurer Stelle,
An seiner Ihr, Ihr straucheltet gleich ihm;
Doch er im Amt wär’ nicht so strengen Sinns! –
Angelo
.
Ich bitt’ Euch, geht!
Isabella
.
O güt’ger Gott, hätt’ ich nur Eure Macht,
Und Ihr wär’t Isabella! Ständ’ es so,
Dann zeigt’ ich, was es heißt, ein Richter sein,
Was ein Gefangner.
Lucio
leise.
Das ist die rechte Weise! –
Angelo
.
Eu’r Bruder ist verfallen dem Gesetz,
Und Ihr verschwendet Eure Worte.
Isabella
.
Weh mir!
Ach! Alle Seelen waren einst verfallen,
Und Er, dem Fug und Macht zur Strafe war,
Fand noch Vermittlung. Wie erging’ es Euch,
Wollt’ Er, das allerhöchste Recht, Euch richten
So, wie Ihr seid? Oh, das erwäget, Herr,
Und Gnade wird entschweben Euren Lippen
Mit Kindes Unschuld.
Angelo
.
Faßt Euch, schönes Mädchen;
Denn das Gesetz, nicht ich, straft Euern Bruder.
Wär’ er mein Vetter, Bruder, ja mein
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