Sämtliche Dramen
Sohn,
Es ging’ ihm so: sein Haupt wird morgen fallen.
Isabella
.
Schon morgen! Das ist schnell! O schont ihn, schont ihn,
Er ist noch nicht bereit. Wir schlachten ja
Geflügel nur, wenn’s Zeit ist; dienten wir
Gott selbst mit mindrer Achtung, als wir sorgen
Für unser grobes Ich? Denkt, güt’ger, güt’ger Herr,
Wer büßte schon für dies Vergehn mit Tod?
So manche doch begingen’s! –
Lucio
leise.
So ist’s recht.
Angelo
.
Nicht tot war das Gesetz, obwohl es schlief.
Die vielen hätten nicht gewagt den Frevel,
Wenn nur der erste, der die Vorschrift brach,
Für seine Tat gebüßt. Nun ist’s erwacht,
Forscht, was verübt ward, und Propheten gleich
Sieht es im Spiegel, was für künft’ge Sünden
(Ob jetzt schon, ob durch Nachsicht neu erzeugt,
Und ferner ausgebrütet und geboren)
Hinfort sich stufenweis’ nicht mehr entwickeln,
Nein, sterben im Entstehn.
Isabella
.
Zeigt dennoch Mitleid! –
Angelo
.
Das tu’ ich nur, zeig’ ich Gerechtigkeit.
Denn dann erbarmen mich, die ich nicht kenne,
Die jetz’ge Nachsicht einst verwunden möchte;
Und ihm wird Recht, der, ein Verbrechen büßend,
Nicht lebt, ein zweites zu begehn. Dies g’nüge; –
Claudio muß morgen sterben; – seid zufrieden!
Isabella
.
So muß zuerst von Euch solch Urteil kommen,
Und er zuerst es dulden? Ach, ’s ist groß,
Des Riesen Kraft besitzen; doch tyrannisch,
Dem Riesen gleich sie brauchen.
Lucio
leise.
Ha, vortrefflich! –
Isabella
.
Könnten die Großen donnern
Wie Jupiter, sie machten taub den Gott:
Denn jeder winz’ge, kleinste Richter brauchte
Zum Donnern Jovis Äther; – nichts als Donnern!
O gnadenreicher Himmel!
Du mit dem zack’gen Felsenkeile spaltest
Den unzerkeilbar knot’gen Eichenstamm,
Nicht zarte Myrten: doch der Mensch, der stolze Mensch,
In kleine, kurze Majestät gekleidet,
Vergessend, was am mind’sten zu bezweifeln,
Sein gläsern Element, – wie zorn’ge Affen,
Spielt solchen Wahnsinn gaukelnd vor dem Himmel,
Daß Engel weinen, die, gelaunt wie wir,
Sich alle sterblich lachen würden. –
Lucio
.
Nur weiter, weiter, Kind; er gibt schon nach;
Es wirkt, ich seh’ es.
Schliesser
.
Geb’ ihr Gott Gelingen! –
Isabella
.
Miß nicht den Nächsten nach dem eignen Maß:
Ihr Starken scherzt mit Heil’gen. Witz an euch
Ist, was am Kleinen nur Entweihung wär’.
Lucio
.
Das ist die rechte Weise; immer mehr! –
Isabella
.
Was in des Feldherrn Mund ein zornig Wort,
Wird beim Soldaten Gotteslästerung.
Lucio
.
Wo nimmst du das nur her? Fahr’ fort! –
Angelo
.
Was überhäufst du mich mit all den Sprüchen? –
Isabella
.
Weil Hoheit, wenn sie auch wie andre irrt,
Doch eine Art von Heilkraft in sich trägt,
Die Fehl’ und Wunden schließt. Fragt Euer Herz,
Klopft an die eigne Brust, ob nichts drin wohnt,
Das meines Bruders Fehltritt gleicht: bekennt sie
Menschliche Schwachheit, wie die seine war,
So steig’ aus ihr kein Laut auf Eure Zunge
Zu Claudias Tod.
Angelo
.
Sie spricht so tiefen Sinns,
Daß Sinn und Geist ihr folgen. – Lebt nun wohl! –
Isabella
.
O teurer Herr, kehrt um! –
Angelo
.
Ich überleg’ es noch. Kommt morgen wieder! –
Isabella
.
Hört, wie ich Euch bestechen will! Kehrt um,
Mein güt’ger Herr!
Angelo
.
Wie! Mich bestechen?
Isabella
.
Ja, mit solchen Gaben,
Wie sie der Himmel mit Euch teilt! –
Lucio
.
Gut, sonst verdarbst du alles! –
Isabella
.
Nicht eitle Seckel voll geprägten Goldes,
Noch Steine, deren Wert bald reich, bald arm,
Nachdem die Laun’ es schätzt: nein, fromm Gebet,
Das auf zum Himmel steigt und zu ihm dringt
Vor Sonnenaufgang; Bitten reiner Seelen,
Fastender Jungfrau’n, deren Herz nicht hängt
An dieser Zeitlichkeit.
Angelo
.
Gut, morgen kommt
Zu mir!
Lucio
.
Jetzt geht nur; es gelingt Euch. – Kommt! –
Isabella
.
Der Himmel schütz’ Eu’r Gnaden! –
Angelo
für sich.
Amen! Denn
Ich bin schon auf dem Wege der Versuchung,
Der die Gebete kreuzt.
Isabella
.
Um welche Stunde morgen
Wart’ ich Eu’r Gnaden auf?
Angelo
.
Zu jeder Zeit vor Mittag.
Isabella
.
Gott beschütz’ Euch!
Lucio, Isabella und Schließer gehn ab.
Angelo
.
Vor dir! Vor deiner Tugend selbst! –
Was ist dies? Was? Ist’s ihre Schuld, ist’s meine?
Wer sündigt mehr? Ist’s die Versucherin,
Ist’s der Versucher? Ha!
Nicht sie, nein, sie versucht auch nicht! Ich bin’s,
Der bei dem Veilchen liegt im Sonnenschein
Und gleich dem Aase, nicht der
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