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Sämtliche Werke

Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
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vom Sturze da, die Räder wegzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich doch kaum, woher er kam.
    Sekretär .
    Herr! Herr!
    Egmont .
    Ich stehe hoch und kann und muss noch höher steigen; ich fühle mir Hoffnung, Mut und Kraft. Noch hab’ ich meines Wachstums Gipfel nicht erreicht, und steh’ ich droben einst, so will ich fest, nicht ängstlich stehn. Soll ich fallen, so mag ein Donnerschlag, ein Sturmwind, ja ein selbst verfehlter Schritt mich abwärts in die Tiefe stürzen – da lieg’ ich mit viel Tausenden. Ich habe nie verschmäht, mit meinen guten Kriegsgesellen um kleinen Gewinst das blutige Los zu werfen; und sollt’ ich knickern, wenn’s um den ganzen freien Wert des Lebens geht?
    Sekretär .
    O Herr! Ihr wisst nicht, was für Worte Ihr sprecht! Gott erhalt’ Euch!
    Egmont .
    Nimm deine Papiere zusammen. Oranien kommt. Fertige aus, was am nötigsten ist, dass die Boten fortkommen, eh’ die Tore geschlossen werden. Das andere hat Zeit. Den Brief an den Grafen lass bis morgen. Versäume nicht, Elviren zu besuchen, und grüße sie von mir. – Horche, wie sich die Regentin befindet: Sie soll nicht wohl sein, ob sie’s gleich verbirgt. (Sekretär ab.)
    Oranien kommt.
    Egmont .
    Willkommen, Oranien. Ihr scheint mir nicht ganz frei.
    Oranien .
    Was sagt Ihr zu unsrer Unterhaltung mit der Regentin?
    Egmont .
    Ich fand in ihrer Art, uns aufzunehmen, nichts Außerordentliches. Ich habe sie schon öfter so gesehen. Sie schien mir nicht ganz wohl.
    Oranien .
    Merktet Ihr nicht, dass sie zurückhaltender war? Erst wollte sie unser Betragen bei dem neuen Aufruhr des Pöbels gelassen billigen; nachher merkte sie an, was sich doch auch für ein falsches Licht darauf werfen lasse; wich dann mit dem Gespräche zu ihrem alten gewöhnlichen Diskurs: Dass man ihre liebevolle gute Art, ihre Freundschaft zu uns Niederländern, nie genug erkannt, zu leicht behandelt habe, dass nichts einen erwünschten Ausgang nehmen wolle, dass sie am Ende wohl müde werden, der König sich zu andern Maßregeln entschließen müsse. Habt Ihr das gehört?
    Egmont .
    Nicht alles; ich dachte unterdessen an was anders. Sie ist ein Weib, guter Oranien, und die möchten immer gern, dass sich alles unter ihr sanftes Joch gelassen schmiegte, dass jeder Herkules die Löwenhaut ablegte und ihren Kunkelhof vermehrte; dass, weil sie friedlich gesinnt sind, die Gärung, die ein Volk ergreift, der Sturm, den mächtige Nebenbuhler gegeneinander erregen, sich durch ein freundlich Wort beilegen ließe, und die widrigsten Elemente sich zu ihren Füßen in sanfter Eintracht vereinigten. Das ist ihr Fall, und da sie es dahin nicht bringen kann, so hat sie keinen Weg, als launisch zu werden, sich über Undankbarkeit, Unweisheit zu beklagen, mit schrecklichen Aussichten in die Zukunft zu drohen, und zu drohen – dass sie fortgehn will.
    Oranien .
    Glaubt Ihr dasmal nicht, dass sie ihre Drohung erfüllt?
    Egmont .
    Nimmermehr! Wie oft habe ich sie schon reisefertig gesehn! Wo will sie denn hin? Hier Statthalterin, Königin; glaubst du, dass sie es unterhalten wird, am Hofe ihres Bruders unbedeutende Tage abzuhaspeln? Oder nach Italien zu gehen und sich in alten Familienverhältnissen herumzuschleppen?
    Oranien .
    Man hält sie dieser Entschließung nicht fähig, weil Ihr sie habt zaudern, weil Ihr sie habt zurücktreten sehn; dennoch liegt’s wohl in ihr: Neue Umstände treiben sie zu dem lang’ verzögerten Entschluss. Wenn sie ginge? Und der König schickte einen andern?
    Egmont .
    Nun, der würde kommen und würde eben auch zu tun finden. Mit großen Planen, Projekten und Gedanken würde er kommen, wie er alles zurechtrücken, unterwerfen und zusammenhalten wolle, und würde heut mit dieser Kleinigkeit, morgen mit einer andern zu tun haben, übermorgen jene Hindernis finden, einen Monat mit Entwürfen, einen andern mit Verdruss über fehlgeschlagne Unternehmen, ein halb Jahr in Sorgen über eine einzige Provinz zubringen. Auch ihm wird die Zeit vergehn, der Kopf schwindeln und die Dinge wie zuvor ihren Gang halten, dass er, statt weite Meere nach einer vorgezognen Linie zu durchsegeln, Gott danken mag, wenn er sein Schiff in diesem Sturme vom Felsen hält.
    Oranien .
    Wenn man nun aber dem König zu einem Versuch riete?
    Egmont .
    Der wäre?
    Oranien .
    Zu sehen, was der Rumpf ohne Haupt anfinge.
    Egmont .
    Wie?
    Oranien .
    Egmont, ich trage viele Jahre her alle unsere Verhältnisse am Herzen, ich stehe immer wie über einem Schachspiele und

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