Sämtliche Werke
seine Bedenklichkeiten was recht Beruhigendes geschrieben würde.
Sekretär .
Sagt mir nur ungefähr Eure Meinung; ich will die Antwort schon aufsetzen und sie Euch vorlegen. Geschrieben soll sie werden, dass sie vor Gericht für Eure Hand gelten kann.
Egmont .
Gib mir den Brief. (Nachdem er hineingesehen.) Guter ehrlicher Alter! Warst du in deiner Jugend auch wohl so bedächtig? Erstiegst du nie einen Wall? Bliebst du in der Schlacht, wo es die Klugheit anrät, hinten? – Der Treue, Sorgliche! Er will mein Leben und mein Glück und fühlt nicht, dass der schon tot ist, der um seiner Sicherheit willen lebt. – Schreib ihm, er möge unbesorgt sein; ich handle, wie ich soll, ich werde mich schon wahren; sein Ansehen bei Hofe soll er zu meinen Gunsten brauchen und meines vollkommnen Dankes gewiss sein.
Sekretär .
Nichts weiter? O er erwartet mehr.
Egmont .
Was soll ich mehr sagen? Willst du mehr Worte machen, so steht’s bei dir. Es dreht sich immer um den einen Punkt: Ich soll leben, wie ich nicht leben mag. Dass ich fröhlich bin, die Sachen leicht nehme, rasch lebe, das ist mein Glück, und ich vertausch’ es nicht gegen die Sicherheit eines Totengewölbes. Ich habe nun zu der spanischen Lebensart nicht einen Blutstropfen in meinen Adern; nicht Lust, meine Schritte nach der neuen bedächtigen Hofkadenz zu mustern. Leb’ ich nur, um aufs Leben zu denken? Soll ich den gegenwärtigen Augenblick nicht genießen, damit ich des folgenden gewiss sei? Und diesen wieder mit Sorgen und Grillen verzehren?
Sekretär .
Ich bitt’ Euch, Herr; seid nicht so harsch und rau gegen den guten Mann. Ihr seid ja sonst gegen alle freundlich. Sagt mir ein gefällig Wort, das den edeln Freund beruhige. Seht, wie sorgfältig er ist, wie leis er Euch berührt.
Egmont .
Und doch berührt er immer diese Saite. Er weiß von alters her, wie verhasst mir diese Ermahnungen sind; sie machen nur irre, sie helfen nichts. Und wenn ich ein Nachtwandler wäre und auf dem gefährlichen Gipfel eines Hauses spazierte, ist es freundschaftlich, mich beim Namen zu rufen und mich zu warnen, zu wecken und zu töten? Lasst jeden seines Pfades gehen; er mag sich wahren.
Sekretär .
Es ziemt Euch, nicht zu sorgen, aber wer Euch kennt und liebt –
Egmont (in den Brief sehend) .
Da bringt er wieder die alten Märchen auf, was wir an einem Abend in leichtem Übermut der Geselligkeit und des Weins getrieben und gesprochen, und was man daraus für Folgen und Beweise durchs ganze Königreich gezogen und geschleppt habe. – Nun gut! Wir haben Schellenkappen, Narrenkutten auf unsrer Diener Ärmel sticken lassen und haben diese tolle Zierde nachher in ein Bündel Pfeile verwandelt, ein noch gefährlicher Symbol für alle, die deuten wollen, wo nichts zu deuten ist. Wir haben die und jene Torheit in einem lustigen Augenblick empfangen gleich und geboren; sind schuld, dass eine ganze edle Schar mit Bettelsäcken und mit einem selbst gewählten Unnamen dem Könige seine Pflicht mit spottender Demut ins Gedächtnis rief; sind schuld – was ist’s nun weiter? Ist ein Fastnachtsspiel gleich Hochverrat? Sind uns die kurzen, bunten Lumpen zu missgönnen, die ein jugendlicher Mut, eine angefrischte Phantasie um unsers Lebens arme Blöße hängen mag? Wenn ihr das Leben gar zu ernsthaft nehmt, was ist denn dran? Wenn uns der Morgen nicht zu neuen Freuden weckt, am Abend uns keine Lust zu hoffen übrig bleibt, ist’s wohl des An- und Ausziehens wert? Scheint mir die Sonne heut, um das zu überlegen, was gestern war? Und um zu raten, zu verbinden, was nicht zu erraten, nicht zu verbinden ist, das Schicksal eines kommenden Tages? Schenke mir diese Betrachtungen; wir wollen sie Schülern und Höflingen überlassen: Die mögen sinnen und aussinnen, wandeln und schleichen, gelangen, wohin sie können, erschleichen, was sie können. – Kannst du von allem diesem etwas brauchen, dass deine Epistel kein Buch wird, so ist mir’s recht. Dem guten Alten scheint alles viel zu wichtig. So drückt ein Freund, der lang’ unsre Hand gehalten, sie stärker noch einmal, wenn er sie lassen will.
Sekretär .
Verzeiht mir, es wird dem Fußgänger schwindlig, der einen Mann, mit rasselnder Eile daherfahren sieht.
Egmont .
Kind! Kind! Nicht weiter! Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem Wagen durch; und uns bleibt nichts, als, mutig gefasst, die Zügel festzuhalten und bald rechts bald links, vom Steine hier
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