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Sämtliche Werke

Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
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halte keinen Zug des Gegners für unbedeutend; und wie müßige Menschen mit der größten Sorgfalt sich um die Geheimnisse der Natur bekümmern, so halt’ ich es für Pflicht, für Beruf eines Fürsten, die Gesinnungen, die Ratschläge aller Parteien zu kennen. Ich habe Ursach’, einen Ausbruch zu befürchten. Der König hat lange nach gewissen Grundsätzen gehandelt; er sieht, dass er damit nicht auskommt; was ist wahrscheinlicher, als dass er es auf einem andern Wege versucht?
    Egmont .
    Ich glaub’s nicht. Wenn man alt wird und hat so viel versucht, und es will in der Welt nie zur Ordnung kommen, muss man es endlich wohl genug haben.
    Oranien .
    Eins hat er noch nicht versucht.
    Egmont .
    Nun?
    Oranien .
    Das Volk zu schonen und die Fürsten zu verderben.
    Egmont .
    Wie viele haben das schon lange gefürchtet! Es ist keine Sorge.
    Oranien .
    Sonst war’s Sorge; nach und nach ist mir’s Vermutung, zuletzt Gewissheit geworden.
    Egmont .
    Und hat der König treuere Diener als uns?
    Oranien .
    Wir dienen ihm auf unsere Art; und untereinander können wir gestehen, dass wir des Königs Rechte und die unsrigen wohl abzuwägen wissen.
    Egmont .
    Wer tut’s nicht? Wir sind ihm untertan und gewärtig in dem, was ihm zukommt.
    Oranien .
    Wenn er sich nun aber mehr zuschriebe und Treulosigkeit nennte, was wir heißen: Auf unsre Rechte halten?
    Egmont .
    Wir werden uns verteidigen können. Er rufe die Ritter des Vlieses zusammen, wir wollen uns richten lassen.
    Oranien .
    Und was wäre ein Urteil vor der Untersuchung? Eine Strafe vor dem Urteil?
    Egmont .
    Eine Ungerechtigkeit, der sich Philipp nie schuldig machen wird; und eine Torheit, die ich ihm und seinen Räten nicht zutraue.
    Oranien .
    Und wenn sie nun ungerecht und töricht wären?
    Egmont .
    Nein, Oranien, es ist nicht möglich. Wer sollte wagen, Hand an uns zu legen? – Uns gefangen zu nehmen, wär’ ein verlornes und fruchtloses Unternehmen. Nein, sie wagen nicht, das Panier der Tyrannei so hoch aufzustecken. Der Windhauch, der diese Nachricht übers Land brächte, würde ein ungeheures Feuer zusammentreiben. Und wohinaus wollten sie? Richten und verdammen kann nicht der König allein, und wollten sie meuchelmörderisch an unser Leben? – Sie können nicht wollen. Ein schrecklicher Bund würde in einem Augenblick das Volk vereinigen. Hass und ewige Trennung vom spanischen Namen würde sich gewaltsam erklären.
    Oranien .
    Die Flamme wütete dann über unserm Grabe, und das Blut unsrer Feinde flösse zum leeren Sühnopfer. Lass uns denken, Egmont.
    Egmont .
    Wie sollten sie aber?
    Oranien .
    Alba ist unterwegs.
    Egmont .
    Ich glaub’s nicht.
    Oranien .
    Ich weiß es.
    Egmont .
    Die Regentin wollte nichts wissen.
    Oranien .
    Um desto mehr bin ich überzeugt. Die Regentin wird ihm Platz machen. Seinen Mordsinn kenn’ ich, und ein Heer bringt er mit.
    Egmont .
    Aufs neue die Provinzen zu belästigen? Das Volk wird höchst schwierig werden.
    Oranien .
    Man wird sich der Häupter versichern.
    Egmont .
    Nein! Nein!
    Oranien .
    Lass uns gehen, jeder in seine Provinz. Dort wollen wir uns verstärken; mit offner Gewalt fängt er nicht an.
    Egmont .
    Müssen wir ihn nicht begrüßen, wenn er kommt?
    Oranien .
    Wir zögern.
    Egmont .
    Und wenn er uns im Namen des Königs bei seiner Ankunft fordert?
    Oranien .
    Suchen wir Ausflüchte.
    Egmont .
    Und wenn er dringt?
    Oranien .
    Entschuldigen wir uns.
    Egmont .
    Und wenn er drauf besteht?
    Oranien .
    Kommen wir um so weniger.
    Egmont .
    Und der Krieg ist erklärt, und wir sind die Rebellen. Oranien, lass dich nicht durch Klugheit verführen; ich weiß, dass Furcht dich nicht weichen macht. Bedenke den Schritt.
    Oranien .
    Ich hab’ ihn bedacht.
    Egmont .
    Bedenke, wenn du dich irrst, woran du schuld bist: An dem verderblichsten Kriege, der je ein Land verwüstet hat. Dein Weigern ist das Signal, das die Provinzen mit einmal zu den Waffen ruft, das jede Grausamkeit rechtfertigt, wozu Spanien von jeher nur gern den Vorwand gehascht hat. Was wir lange mühselig gestillt haben, wirst du mit einem Winke zur schrecklichsten Verwirrung aufhetzen. Denk’ an die Städte, die Edeln, das Volk, an die Handlung, den Feldbau, die Gewerbe! Und denke die Verwüstung, den Mord! – Ruhig sieht der Soldat wohl im Felde seinen Kameraden neben sich hinfallen; aber den Fluss herunter werden dir die Leichen der Bürger, der Kinder, der Jungfrauen entgegen schwimmen, dass du mit Entsetzen dastehst und nicht mehr weißt, wessen Sache du

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