Sämtliche Werke
verlieren nicht viel durch solchen Mangel an Notizen, die gewöhnlich bei den Frau Basen der Nachbarschaft aufgegabelt werden. Diese sehen ja nur die Hülle; wir aber sehen den Mann selbst, seine wahre, treue, unverleumdete Gestalt.
Er war ein schöner, kräftiger Mann, Don Miguel Cervantes de Saavedra. Seine Stirn war hoch, und sein Herz war weit. Wundersam war die Zauberkraft seines Auges. Wie es Leute gibt, welche durch die Erde schauen und die darin begrabenen Schätze oder Leichen sehen können, so drang das Auge des großen Dichters durch die Brust der Menschen, und er sah deutlich, was dort vergraben. Den Guten war sein Blick ein Sonnenstrahl, der ihr Inneres freudig erhellte; den Bösen war sein Blick ein Schwert, das ihre Gefühle grausam zerschnitt. Sein Blick drang forschend in die Seele eines Menschen und sprach mit ihr, und wenn sie nicht antworten wollte, folterte er sie, und die Seele lag blutend auf der Folter, während vielleicht ihre leibliche Hülle sich herablassend vornehm gebärdete. Was Wunder, daß ihm dadurch sehr viele Leute abhold wurden und ihn auf seiner irdischen Laufbahn nur saumselig beförderten! Auch gelangte er niemals zu Rang und Wohlstand, und von all seinen mühseligen Pilgerfahrten brachte er keine Perlen, sondern nur leere Muscheln nach Hause. Man sagt, er habe den Wert des Geldes nicht zu schätzen gewußt; aber ich versichere euch, er wußte den Wert des Geldes sehr zu schätzen, sobald er keins mehr hatte. Nie aber schätzte er es so hoch wie seine Ehre. Er hatte Schulden, und in einer von ihm verfaßten Charte, die Apollo den Dichtern oktroyiert, bestimmt der erste Paragraph: wenn ein Dichter versichert, kein Geld zu haben, so solle man ihm aufs Wort glauben und keinen Eid von ihm verlangen. Er liebte Musik, Blumen und Weiber. Doch auch in der Liebe für letztere ging es ihm manchmal herzlich schlecht, namentlich als er noch jung war. Konnte das Bewußtsein künftiger Größe ihn genugsam trösten in seiner Jugend, wenn schnippische Rosen ihn mit ihren Dornen verletzten? – Einst an einem hellen Sommernachmittag ging er, ein junger Fant, am Tajo spazieren mit einer sechzehnjährigen Schönen, die sich beständig über seine Zärtlichkeit mokierte. Die Sonne war noch nicht untergegangen, sie glühte noch in ihrer goldigsten Pracht; aber oben am Himmel stand schon der Mond, winzig und blaß, wie ein weißes Wölkchen. »Siehst du«, sprach der junge Dichter zu seiner Geliebten, »siehst du dort oben jene kleine bleiche Scheibe? Der Fluß hier neben uns, worin sie sich abspiegelt, scheint nur aus Mitleiden ihr ärmliches Abbild auf seinen stolzen Fluten zu tragen, und die gekräuselten Wellen werfen es zuweilen spottend ans Ufer. Aber laß nur den alten Tag verdämmern! Sobald die Dunkelheit anbricht, erglüht droben jene blasse Scheibe immer herrlicher und herrlicher, der ganze Fluß wird überstrahlt von ihrem Lichte, und die Wellen, die vorhin so wegwerfend übermütig, erschauern jetzt bei dem Anblick dieses glänzenden Gestirns und schwellen ihm entgegen mit Wollust.«
In den Werken der Dichter muß man ihre Geschichte suchen, und hier findet man ihre geheimsten Bekenntnisse. Überall, mehr noch in seinen Dramen als im »Don Quixote«, sehen wir, was ich bereits erwähnt habe, daß Cervantes lange Zeit Soldat war. In der Tat, das römische Wort: »Leben heißt Krieg führen!« findet auf ihn seine doppelte Anwendung. Als gemeiner Soldat kämpfte er in den meisten jener wilden Waffenspiele, die König Philipp II. zur Ehre Gottes und seiner eigenen Lust in allen Landen aufführte. Dieser Umstand, daß Cervantes dem größten Kämpen des Katholizismus seine ganze Jugend gewidmet, daß er für die katholischen Interessen persönlich gekämpft, läßt vermuten, daß diese Interessen ihm auch teuer am Herzen lagen, und widerlegt wird dadurch jene vielverbreitete Meinung, daß nur die Furcht vor der Inquisition ihn abgehalten habe, die protestantischen Zeitgedanken im »Don Quixote« zu besprechen. Nein, Cervantes war ein getreuer Sohn der römischen Kirche, und nicht bloß blutete sein Leib im ritterlichen Kampfe für ihre gebenedeite Fahne, sondern er litt für sie auch mit seiner ganzen Seele das peinlichste Märtyrtum während seiner langjährigen Gefangenschaft unter den Ungläubigen.
Dem Zufall verdanken wir mehr Details über das Treiben des Cervantes zu Algier, und hier erkennen wir in dem großen Dichter einen ebenso großen Helden. Die Gefangenschaftsgeschichte
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