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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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vermischt nur das Ideale mit dem Gemeinen, das eine dient dem andern zur Abschattung oder zur Beleuchtung, und das adeltümliche Element ist darin noch ebenso mächtig wie das volkstümliche. Dieses adeltümliche, chevalereske, aristokratische Element verschwindet aber ganz in dem Roman der Engländer, die den Cervantes zuerst nachgeahmt und ihn bis auf den heutigen Tag immer als Vorbild vor Augen haben. Es sind prosaische Naturen, diese englischen Romandichter seit Richardsons Regierung, der prüde Geist ihrer Zeit widerstrebt sogar aller kernigen Schilderung des gemeinen Volkslebens, und wir sehen jenseit des Kanals jene bürgerlichen Romane entstehen, worin das nüchterne Kleinleben der Bourgeoisie sich abspiegelt. Diese klägliche Lektüre überwässerte das englische Publikum bis auf die letzte Zeit, wo der große Schotte auftrat, der im Roman eine Revolution oder eigentlich eine Restauration bewirkte. Wie nämlich Cervantes das demokratische Element in den Roman hineinbrachte, als darin nur das einseitig rittertümliche herrschend war, so brachte Walter Scott in den Roman wieder das aristokratische Element zurück, als dieses gänzlich darin erloschen war und nur prosaische Spießbürgerlichkeit dort ihr Wesen trieb. Durch ein entgegengesetztes Verfahren hat Walter Scott dem Roman jenes schöne Ebenmaß wiedergegeben, welches wir im »Don Quixote« des Cervantes bewundern.
    Ich glaube, in dieser Beziehung ist das Verdienst des zweiten großen Dichters Englands noch nie anerkannt worden. Seine toryschen Neigungen, seine Vorliebe für die Vergangenheit waren heilsam für die Literatur, für jene Meisterwerke seines Genius, die überall sowohl Anklang als Nachahmung fanden und die aschgrauen Schemen des bürgerlichen Romans in die dunkleren Winkel der Leihbibliotheken verdrängten. Es ist ein Irrtum, wenn man Walter Scott nicht als den wahren Begründer des sogenannten historischen Romans ansehen will und letztern von deutschen Anregungen herleitet. Man verkennt, daß das Charakteristische der historischen Romane eben in der Harmonie des aristokratischen und demokratischen Elements besteht; daß Walter Scott diese Harmonie, welche während der Alleinherrschaft des demokratischen Elements gestört war, durch die Wiedereinsetzung des aristokratischen Elements aufs schönste herstellte, statt daß unsere deutschen Romantiker das demokratische Element in ihren Romanen gänzlich verleugneten und wieder in das aberwitzige Gleise des Ritterromans, der vor Cervantes blühte, zurückkehrten. Unser de la Motte Fouqué ist nichts als ein Nachzügler jener Dichter, die den »Amadis von Gallien« und ähnliche Abenteuerlichkeiten zur Welt gebracht, und ich bewundere nicht bloß das Talent, sondern auch den Mut, womit der edle Freiherr zweihundert Jahre nach dem Erscheinen des »Don Quixote« seine Ritterbücher geschrieben hat. Es war eine sonderbare Periode in Deutschland, als letztere erschienen und das Publikum daran Gefallen fand. Was bedeutete in der Literatur diese Vorliebe für das Rittertum und die Bilder der alten Feudalzeit? Ich glaube, das deutsche Volk wollte auf immer Abschied nehmen von dem Mittelalter; aber gerührt, wie wir es leicht sind, nahmen wir Abschied mit einem Kusse. Wir drückten zum letzten Male unsere Lippen auf die alten Leichensteine. Mancher von uns freilich gebärdete sich dabei höchst närrisch. Ludwig Tieck, der kleine Junge der Schule, grub die toten Voreltern aus dem Grabe heraus, schaukelte ihren Sarg, als wär es eine Wiege, und mit aberwitzig kindischem Lallen sang er dabei: »Schlaf, Großväterchen, schlafe!«
    Ich habe Walter Scott den zweiten großen Dichter Englands und seine Romane Meisterwerke genannt. Aber nur seinem Genius wollte ich das höchste Lob erteilen. Seine Romane selbst kann ich dem großen Roman des Cervantes keineswegs gleichstellen. Dieser übertrifft ihn an epischem Geist. Cervantes war, wie ich schon erwähnt habe, ein katholischer Dichter, und dieser Eigenschaft verdankt er vielleicht jene große epische Seelenruhe, die, wie ein Kristallhimmel, seine bunten Dichtungen überwölbt: nirgends eine Spalte des Zweifels. Dazu kömmt noch die Ruhe des spanischen Nationalcharakters. Walter Scott aber gehört einer Kirche, welche selbst die göttlichen Dinge einer scharfen Diskussion unterwirft; als Advokat und Schotte ist er gewöhnt an Handlung und Diskussion, und wie in seinem Geiste und Leben, so ist auch in seinen Romanen das Dramatische vorherrschend. Seine Werke

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