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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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widerspricht aufs glänzendste der melodischen Lüge jenes glatten Lebemannes, der dem Augustus und allen deutschen Schulfüchsen weisgemacht hat, er sei ein Dichter, und Dichter seien feige. Nein, der wahre Dichter ist auch ein wahrer Held, und in seiner Brust wohnt die Geduld, die, wie der Spanier sagt, ein zweiter Mut ist. Es gibt kein erhabeneres Schauspiel als den Anblick jenes edeln Kastilianers, der dem Dei zu Algier als Sklave dient, beständig auf Befreiung sinnt, seine kühnen Plane unermüdlich vorbereitet, allen Gefahren ruhig entgegenblickt und, wenn das Unternehmen scheitert, lieber Tod und Folter ertrüge, als daß er nur mit einer Silbe die Mitschuldigen verriete. Der blutgierige Herr seines Leibes wird entwaffnet von soviel Großmut und Tugend, der Tiger schont den gefesselten Löwen und zittert vor dem schrecklichen Einarm, den er doch mit einem Wort in den Tod schicken könnte. Unter dem Namen »der Einarm« ist Cervantes in ganz Algier bekannt, und der Dei gesteht, daß er ruhig schlafen könne und der Ruhe seiner Stadt, seiner Armee und seiner Sklaven versichert sei, wenn er nur den einhändigen Spanier in festem Gewahrsam wisse.
    Ich habe erwähnt, daß Cervantes beständig gemeiner Soldat war; aber da er sogar in so untergeordneter Stellung sich auszeichnen und namentlich seinem großen Feldherrn, Don Juan d’Austria, bemerkbar machen konnte, so erhielt er, als er aus Italien nach Spanien zurückkehren wollte, die rühmlichsten Zeugnisbriefe für den König, dem seine Beförderung darin nachdrücklich empfohlen ward. Als nun die algierischen Korsaren, die ihn auf dem Mittelländischen Meere gefangennahmen, diese Briefe sahen, hielten sie ihn für eine Person von äußerst bedeutendem Stande und forderten deshalb ein so erhöhetes Lösegeld, daß seine Familie, trotz aller Mühen und Opfer, ihn nicht loszukaufen vermochte und der arme Dichter dadurch desto länger und qualsamer in der Gefangenschaft gehalten wurde. So ward sogar die Anerkennung seiner Vortrefflichkeit für ihn nur eine neue Quelle des Unglücks, und so, bis ans Ende seiner Tage, spottete seiner jenes grausame Weib, die Göttin Fortuna, die es dem Genius nie verzeiht, daß er auch ohne ihre Gönnerschaft zu Ruhm und Ehre gelangen kann.
    Aber ist das Unglück des Genius immer nur das Werk eines blinden Zufalls, oder entspringt es als Notwendigkeit aus seiner innern Natur und der Natur seiner Umgebung? Tritt seine Seele in Kampf mit der Wirklichkeit, oder beginnt die rohe Wirklichkeit einen ungleichen Kampf mit seiner edeln Seele?
    Die Gesellschaft ist eine Republik. Wenn der einzelne emporstrebt, drängt ihn die Gesamtheit zurück durch Ridiküle und Verlästerung. Keiner soll tugendhafter und geistreicher sein als die übrigen. Wer aber durch die unbeugsame Gewalt des Genius hinausragt über das banale Gemeindemaß, diesen trifft der Ostrazismus der Gesellschaft, sie verfolgt ihn mit so gnadenloser Verspottung und Verleumdung, daß er sich endlich zurückziehen muß in die Einsamkeit seiner Gedanken.
    Ja, die Gesellschaft ist ihrem Wesen nach republikanisch. Jede Fürstlichkeit ist ihr verhaßt, die geistige ebensosehr wie die materielle. Letztere stützt nicht selten auch die erstere mehr, als man gewöhnlich ahnt. Gelangten wir doch selber zu dieser Einsicht bald nach der Juliusrevolution, als der Geist des Republikanismus in allen gesellschaftlichen Verhältnissen sich kundgab. Der Lorbeer eines großen Dichters war unsern Republikanern ebenso verhaßt wie der Purpur eines großen Königs. Auch die geistigen Unterschiede der Menschen wollten sie vertilgen, und indem sie alle Gedanken, die auf dem Territorium des Staates entsprossen, als bürgerliches Gemeingut betrachteten, blieb ihnen nichts mehr übrig, als auch die Gleichheit des Stils zu dekretieren. Und in der Tat, ein guter Stil wurde als etwas Aristokratisches verschrien, und vielfach hörten wir die Behauptung: »Der echte Demokrat schreibt, wie das Volk, herzlich schlicht und schlecht.« Den meisten Männern der Bewegung gelang dieses sehr leicht; aber nicht jedem ist es gegeben, schlecht zu schreiben, zumal wenn man sich zuvor das Schönschreiben angewöhnt hatte, und da hieß es gleich: »Das ist ein Aristokrat, ein Liebhaber der Form, ein Freund der Kunst, ein Feind des Volks.« Sie meinten es gewiß ehrlich wie der heilige Hieronymus, der seinen guten Stil für eine Sünde hielt und sich weidlich dafür geißelte.
    Ebensowenig wie antikatholische finden wir auch

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