Sämtliche Werke
Lieder« führt und jüngst in erneutem Abdruck erschienen ist, auch die nachfolgenden Blätter einverleiben. Aber es wollte mich bedünken, als klänge in dem »Buch der Lieder« ein Grundton, der durch Beimischung späterer Erzeugnisse seine schöne Reinheit einbüßen möchte. Diese späteren Produktionen übergebe ich daher dem Publikum als besonderen Nachtrag, und indem ich bescheidentlich fühle, daß an dem Grundton dieser zweiten Sammlung wenig zu stören ist, füge ich ein dramatisches Gedicht hinzu, welches, in einer frühesten Periode entstanden, zu einer Reihe von Dichtungen gehört, die seitdem, durch betrübsames Mißgeschick, unwiederbringlich verlorengegangen sind. Dieses dramatische Gedicht (»Ratcliff«) kann vielleicht in der Sammlung meiner poetischen Werke eine Lakune füllen und Zeugnis geben von Gefühlen, die in jenen verlorenen Dichtungen flammten oder wenigstens knisterten.
Etwas Ähnliches möchte ich in Beziehung auf das »Lied vom Tannhäuser« andeuten. Es gehört einer Periode meines Lebens, wovon ich ebenfalls wenige schriftliche Urkunden dem Publikum mitteilen kann oder vielmehr mitteilen darf.
Der Einfall, dieses Buch mit einem Konterfei meines Antlitzes zu schmücken, ist nicht von mir ausgegangen. Das Porträt des Verfassers vor den Büchern erinnert mich unwillkürlich an Genua, wo vor dem Narrenhospital die Bildsäule des Stifters aufgestellt ist. Es war mein Verleger, welcher auf die Idee geraten ist, dem Nachtrag zum »Buch der Lieder«, diesem gedruckten Narrenhause, worin meine verrückten Gedanken eingesperrt sind, mein Bildnis voranzukleben. Mein Freund Julius Campe ist ein Schalk und wollte gewiß den lieben Kleinen von der schwäbischen Dichterschule, die sich gegen mein Gesicht verschworen haben, einen Schabernack spielen… Wenn sie jetzt an meinen Liedern klauben und knuspern und die Tränen zählen, die darin vorkommen, so können sie nicht umhin, manchmal meine Züge zu betrachten. Aber warum grollt ihr mir so unversöhnbar, ihr guten Leutchen? Warum zieht ihr gegen mich los in weitschweifigen Artikeln, woran ich mich zu Tode langweilen könnte? Was habt ihr gegen mein Gesicht? Beiläufig will ich hier bemerken, daß das Porträt im »Musenalmanach« gar nicht getroffen ist. Das Bild, welches ihr heute schaut, ist weit besser, besonders der Oberteil des Gesichtes; der untere Teil ist viel zu schmächtig. Ich bin nämlich seit einiger Zeit sehr dick und wohlbeleibt geworden, und ich fürchte, ich werde bald wie ein Bürgermeister aussehn; – ach, die schwäbische Schule macht mir soviel Kummer!
Ich sehe, wie der geneigte Leser mit verwunderten Augen um Erklärung bittet, was ich unter dem Namen »schwäbische Schule« eigentlich verstehe. Was ist das, die schwäbische Schule? Es ist noch nicht lange her, daß ich selber an mehre reisende Schwaben diese Frage richtete und um Auskunft bat. Sie wollten lange nicht mit der Sprache heraus und lächelten sehr sonderbar, etwa wie die Apotheker lächeln, wenn frühmorgens am ersten April eine leichtgläubige Magd zu ihnen in den Laden kömmt und für zwei Kreuzer Mückenhonig verlangt. In meiner Einfalt glaubte ich anfangs, unter dem Namen schwäbische Schule verstünde man jenen blühenden Wald großer Männer, der dem Boden Schwabens entsprossen, jene Rieseneichen, die bis in den Mittelpunkt der Erde wurzeln und deren Wipfel hinaufragt bis an die Sterne… Und ich frug: »Nicht wahr, Schiller gehört dazu, der wilde Schöpfer, der die ›Räuber‹ schuf? …« – »Nein«, lautete die Antwort, »mit dem haben wir nichts zu schaffen, solche Räuberdichter gehören nicht zur schwäbischen Schule; bei uns geht’s hübsch ordentlich zu, und der Schiller hat auch früh aus dem Land hinaus müssen.« – »Gehört denn Schelling zur schwäbischen Schule, Schelling, der irrende Weltweise, der König Artus der Philosophie, welcher vergeblich das absolute Montsalwatsch aufsucht und verschmachten muß in der mystischen Wildnis?« – »Wir verstehen das nicht«, antwortete man mir, »aber soviel können wir Ihnen versichern, der Schelling gehört nicht zur schwäbischen Schule.« – »Gehört Hegel dazu, der Geistesweltumsegler, der unerschrocken vorgedrungen bis zum Nordpol des Gedankens, wo einem das Gehirn einfriert im abstrakten Eis?…« – »Den kennen wir gar nicht.« – »Gehört denn David Strauß dazu, der David mit der tödlichen Schleuder?…« – »Gott bewahre uns vor dem, den haben wir sogar exkommuniziert,
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