Sämtliche Werke
sieht man, wie wenig der freie Menschenwille bei dem Tode von Ludwig XVI. vorwaltete. Mancher, der gegen den Tod stimmen wollte, tat das Gegenteil, als er die Tribüne bestiegen und von dem dunkeln Wahnsinn der politischen Verzweiflung ergriffen wurde. Die Girondisten fühlten, daß sie zu gleicher Zeit ihr eigenes Todesurteil aussprachen. Manche Reden, die bei dieser Gelegenheit gehalten wurden, dienten nur zur Selbstbetäubung. Der Abbé Sieyès, angeekelt von dem widerwärtigen Geschwätze, stimmte ganz einfach für den Tod, und als er von der Tribüne herabgestiegen, sagte er zu seinem Freunde: »J’ai voté la mort sans phrase.« Der böse Leumund aber mißbrauchte diese Privatäußerung; dem mildesten Menschen ward als parlamentarisch das Schreckenswort »la mort sans phrase« aufgebürdet, und es steht jetzt in allen Schulbüchern, und die Jungen lernen’s auswendig. Wie man mir allgemein versichert, Bestürzung und Trauer herrschte am 21. Januar in ganz Paris, sogar die wütendsten Jakobiner schienen von schmerzlichem Mißbehagen niedergedrückt. Mein gewöhnlicher Kabriolettführer, ein alter Sansculotte, erzählte mir, als er den König sterben sehen, sei ihm zumute gewesen, »als würde ihm selber ein Glied abgesägt«. Er setzte hinzu: »Es hat mir im Magen weh getan, und ich hatte den ganzen Tag einen Abscheu vor Speisen.« Auch meinte er, »der alte Veto« habe sehr unruhig ausgesehen, als wolle er sich zur Wehr setzen. Soviel ist gewiß, er starb nicht so großartig wie Karl I., der erst ruhig seine lange protestierende Rede hielt, wobei er so besonnen blieb, daß er die umstehenden Edelleute einigemal ersuchte, das Beil nicht zu betasten, damit es nicht stumpf werde. Der geheimnisvoll verlarvte Scharfrichter von Whitehall wirkte ebenfalls schauerlich poetischer als Sanson mit seinem nackten Gesichte. Hof und Henker hatten die letzte Maske fallen lassen, und es war ein prosaisches Schauspiel. Vielleicht hätte Ludwig eine lange christliche Verzeihungsrede gehalten, wenn nicht die Trommel bei den ersten Worten schon so gerührt worden wäre, daß man kaum seine Unschuldserklärung gehört hat. Die erhabenen Himmelfahrtsworte, die Chateaubriand und seine Genossen beständig paraphrasieren »Fils de Saint-Louis, monte au ciel!«, diese Worte sind auf dem Schafotte gar nicht gesprochen worden, sie passen gar nicht zu dem nüchternen Werkeltagscharakter des guten Edgeworth, dem sie in den Mund gelegt werden, und sie sind die Erfindung eines damaligen Journalisten, namens Charles His, der sie denselben Tag drucken ließ. Dergleichen Berichtigung ist freilich sehr unnütz; diese Worte stehen jetzt ebenfalls in allen Kompendien, sie sind schon längst auswendig gelernt, und die arme Schuljugend müßte noch obendrein auswendig lernen, daß diese Worte nie gesprochen worden.
Es ist nicht zu leugnen, daß Delaroche absichtlich durch sein ausgestelltes Bild zu geschichtlichen Vergleichungen aufforderte, und wie zwischen Ludwig XVI. und Karl I. wurden auch zwischen Cromwell und Napoleon beständig Parallelen gezogen. Ich darf aber sagen, daß beiden Unrecht geschah, wenn man sie miteinander verglich. Denn Napoleon blieb frei von der schlimmsten Blutschuld (die Hinrichtung des Herzogs von Enghien war nur ein Meuchelmord); Cromwell aber sank nie so tief, daß er sich von einem Priester zum Kaiser salben ließ und, ein abtrünniger Sohn der Revolution, die gekrönte Vetterschaft der Cäsaren erbuhlte. In dem Leben des einen ist ein Blutfleck, in dem Leben des andern ist ein Ölfleck. Wohl fühlten sie aber beide die geheime Schuld. Dem Bonaparte, der ein Washington von Europa werden konnte und nur dessen Napoleon ward, ihm ist nie wohl geworden in seinem kaiserlichen Purpurmantel; ihn verfolgte die Freiheit wie der Geist einer erschlagenen Mutter, er hörte überall ihre Stimme, sogar des Nachts, aus den Armen der anvermählten Legitimität schreckte sie ihn vom Lager; und dann sah man ihn hastig umherrennen in den hallenden Gemächern der Tuilerien, und er schalt und tobte; und wenn er dann des Morgens bleich und müde in den Staatsrat kam, so klagte er über Ideologie und wieder Ideologie und sehr gefährliche Ideologie, und Corvisart schüttelte das Haupt.
Wenn Cromwell ebenfalls nicht ruhig schlafen konnte und des Nachts ängstlich in Whitehall umherlief, so war es nicht, wie fromme Kavaliere meinten, ein blutiges Königsgespenst, was ihn verfolgte, sondern die Furcht vor den leiblichen Rächern seiner
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