Sämtliche Werke
die letzten Prachtspuren der gefallenen Herrlichkeit, das reiche grünseidene Kissen im Sarge, die Zierlichkeit des blendendweißen Leichenhemds, garniert mit Brabanter Spitzen.
Welchen großen Weltschmerz hat der Maler hier mit wenigen Strichen ausgesprochen! Da liegt sie, die Herrlichkeit des Königtums, einst Trost und Blüte der Menschheit, elendiglich verblutend. Englands Leben ist seitdem bleich und grau, und die entsetzte Poesie floh den Boden, den sie eh’mals mit ihren heitersten Farben geschmückt. Wie tief empfand ich dieses, als ich einst um Mitternacht an dem fatalen Fenster von Whitehall vorbeiging und die jetzige kaltfeuchte Prosa von England mich durchfröstelte! Warum war aber meine Seele nicht von ebenso tiefen Gefühlen ergriffen, als ich jüngst zum ersten Male über den entsetzlichen Platz ging, wo Ludwig XVI. gestorben? Ich glaube, weil dieser, als er starb, kein König mehr war, weil er, als sein Haupt fiel, schon vorher die Krone verloren hatte. König Karl verlor aber die Krone nur mit dem Haupte selbst. Er glaubte an diese Krone, an sein absolutes Recht; er kämpfte dafür wie ein Ritter, kühn und schlank; er starb adelig stolz, protestierend gegen die Gesetzlichkeit seines Gerichts, ein wahrer Märtyrer des Königtums von Gottes Gnaden. Der arme Bourbon verdient nicht diesen Ruhm, sein Haupt war schon durch eine Jakobinermütze entkönigt; er glaubte nicht mehr an sich selber, er glaubte fest an die Kompetenz seiner Richter, er beteuerte nur seine Unschuld; er war wirklich bürgerlich tugendhaft, ein guter, nicht sehr magerer Hausvater; sein Tod hat mehr einen sentimentalen als einen tragischen Charakter, er erinnert allzusehr an August Lafontaines Familienromane: – eine Träne für Ludwig Capet, einen Lorbeer für Karl Stuart!
»Un plagiat infâme d’un crime étranger« sind die Worte, womit der Vicomte Chateaubriand jene trübe Begebenheit bezeichnet, die einst am 21. Januar auf der Place de la Concorde stattfand. Er macht den Vorschlag, auf dieser Stelle eine Fontäne zu errichten, deren Wasser aus einem großen Becken von schwarzem Marmor hervorsprudeln, um abzuwaschen – »ihr wißt wohl, was ich meine«, setzt er pathetisch geheimnisvoll hinzu. Der Tod Ludwigs XVI. ist überhaupt das beflorte Paradepferd, worauf der edle Vicomte sich beständig herumtummelt; seit Jahr und Tag exploitiert er die Himmelfahrt des Sohns des heiligen Ludwigs, und eben die raffinierte Giftdürstigkeit, womit er dabei deklamiert, und seine weitgeholten Trauerwitze zeugen von keinem wahren Schmerze. Am allerfatalsten ist es, wenn seine Worte widerhallen aus den Herzen des Faubourg St. Germain, wenn dort die alten Emigrantenkoterien mit heuchlerischen Seufzern noch immer über Ludwig XVI. jammern, als wären sie seine eigentlichen Angehörigen, als habe er eigentlich ihnen zugehört, als wären sie besonders bevorrechtet, seinen Tod zu betrauern. Und doch ist dieser Tod ein allgemeines Weltunglück gewesen, das den geringsten Tagelöhner ebensogut betraf wie den höchsten Zeremonienmeister der Tuilerien und das jedes fühlende Menschenherz mit unendlichem Kummer erfüllen mußte. Oh, der feinen Sippschaft! Seit sie nicht mehr unsere Freuden usurpieren kann, usurpiert sie unsere Schmerzen.
Es ist vielleicht an der Zeit, einerseits das allgemeine Volksrecht solcher Schmerzen zu vindizieren, damit sich das Volk nicht einreden lasse, nicht ihm gehörten die Könige, sondern einigen Auserwählten, die das Privilegium haben, jedes königliche Mißgeschick als ihr eigenes zu bejammern; andererseits ist es vielleicht an der Zeit, jene Schmerzen laut auszusprechen, da es jetzt wieder einige eiskluge Staatsgrübler gibt, einige nüchterne Bacchanten der Vernunft, die in ihrem logischen Wahnsinn uns alle Ehrfurcht, die das uralte Sakrament des Königtums gebietet, aus der Tiefe unserer Herzen herausdisputieren möchten. Indessen, die trübe Ursache jener Schmerzen nennen wir keineswegs ein Plagiat, noch viel weniger ein Verbrechen und am allerwenigsten infam; wir nennen sie eine Schickung Gottes. Würden wir doch die Menschen zu hoch stellen und zugleich zu tief herabsetzen, wenn wir ihnen so viel Riesenkraft und zugleich so viel Frevel zutrauten, daß sie aus eigener Willkür jenes Blut vergossen hätten, dessen Spuren Chateaubriand mit dem Wasser seines schwarzen Waschbeckens vertilgen will.
Wahrlich, wenn man die derzeitigen Zustände erwägt und die Bekenntnisse der überlebenden Zeugen einsammelt, so
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