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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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erschrickt, aus Angst zu singen beginnt und endlich laut auflacht… Sehen Sie, das ist schrecklich, gewissermaßen sogar entsetzlich, aber für das Lustspiel ist das ganz vortrefflich!
    Nur wird doch einem Deutschen etwas unheimlich hier zumute. Bei den ewigen Göttern! wir sollten unserem Herren und Heiland täglich dafür danken, daß wir kein Lustspiel haben wie die Franzosen, daß bei uns keine Blumen wachsen, die nur einem Scherbenberg, einem Trümmerhaufen, wie es die französische Gesellschaft ist, entblühen können! Der französische Lustspieldichter kommt mir zuweilen vor wie ein Affe, der auf den Ruinen einer zerstörten Stadt sitzt und Grimassen schneidet und sein grinsendes Gelache erhebt, wenn aus den gebrochenen Ogiven der Kathedrale der Kopf eines wirklichen Fuchses herausschaut, wenn im ehemaligen Boudoir der königlichen Mätresse eine wirkliche Sau ihr Wochenbett hält oder wenn die Raben auf den Zinnen des Gildehauses gravitätisch Rat halten oder gar die Hyäne in der Fürstengruft die alten Knochen aufwühlt…
    Ich habe schon erwähnt, daß die Hauptmotive des französischen Lustspiels nicht dem öffentlichen, sondern dem häuslichen Zustande des Volkes entlehnt sind; und hier ist das Verhältnis zwischen Mann und Frau das ergiebigste Thema. Wie in allen Lebensbezügen, so sind auch in der Familie der Franzosen alle Bande gelockert und alle Autoritäten niedergebrochen. Daß das väterliche Ansehen bei Sohn und Tochter vernichtet ist, ist leicht begreiflich, bedenkt man die korrosive Macht jenes Kritizismus, der aus der materialistischen Philosophie hervorging. Dieser Mangel an Pietät gebärdet sich noch weit greller in dem Verhältnis zwischen Mann und Weib, sowohl in den ehelichen als außerehelichen Bündnissen, die hier einen Charakter gewinnen, der sie ganz besonders zum Lustspiele eignet. Hier ist der Originalschauplatz aller jener Geschlechtskriege, die uns in Deutschland nur aus schlechten Übersetzungen oder Bearbeitungen bekannt sind und die ein Deutscher kaum als ein Polybius, aber nimmermehr als ein Cäsar beschreiben kann. Krieg, freilich, führen die beiden Gatten, wie überhaupt Mann und Weib, in allen Landen, aber dem schönen Geschlechte fehlt anderswo als in Frankreich die Freiheit der Bewegung, der Krieg muß versteckter geführt werden; er kann nicht äußerlich, dramatisch, zur Erscheinung kommen. Anderswo bringt es die Frau kaum zu einer kleinen Emeute, höchstens zu einer Insurrektion. Hier aber stehen sich beide Ehemächte mit gleichen Streitkräften gegenüber und liefern ihre entsetzlichsten Hausschlachten. Bei der Einförmigkeit des deutschen Lebens amüsiert ihr euch sehr im deutschen Schauspielhaus, beim Anblick jener Feldzüge der beiden Geschlechter, wo eins das andere durch strategische Künste, geheimen Hinterhalt, nächtlichen Überfall, zweideutigen Waffenstillstand, oder gar durch ewige Friedensschlüsse, zu überlisten sucht. Ist man aber hier in Frankreich auf den Walplätzen selbst, wo dergleichen nicht bloß zum Scheine, sondern auch in der Wirklichkeit aufgeführt wird, und trägt man ein deutsches Gemüt in der Brust, so schmilzt einem das Vergnügen bei dem besten französischen Lustspiel. Und ach! seit langer Zeit lache ich nicht mehr über Arnal, wenn er mit seiner köstlichsten Niäserie den Hahnrei spielt. Und ich lache auch nicht mehr über Jenny Vertpré, wenn sie als große Dame, alle mögliche Grazie entfaltend, mit den Blumen des Ehebruchs tändelt. Und ich lache auch nicht mehr über Mademoiselle Déjazet, die, wie Sie wissen, die Rolle einer Grisette so vortrefflich, mit einer klassischen Liederlichkeit, zu spielen weiß. Wieviel Niederlagen in der Tugend gehörten dazu, ehe dieses Weib zu solchen Triumphen in der Kunst gelangen konnte! Sie ist vielleicht die beste Schauspielerin Frankreichs. Wie meisterhaft spielt sie eine arme Modistin, die, durch die Liberalität eines reichen Liebhabers, sich plötzlich mit allem Luxus einer großen Dame umgeben sieht, oder eine kleine Wäscherin, die zum ersten Male die Zärtlichkeiten eines Carabins (auf deutsch: Studiosus medicinae) anhört und sich von ihm nach dem bal champêtre der Grande Chaumière geleiten läßt… Ach! das ist alles sehr hübsch und spaßhaft, und die Leute lachen dabei; aber ich, wenn ich heimlich bedenke, wo dergleichen Lustspiel in der Wirklichkeit endet, nämlich in den Gossen der Prostitution, in den Hospitälern von St.-Lazare, auf den Tischen der Anatomie, wo der

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