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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Carabin nicht selten seine ehemalige Liebesgefährtin belehrsam zerschneiden sieht… Dann erstickt mir das Lachen in der Kehle, und fürchtete ich nicht, vor dem gebildetsten Publikum der Welt als Narr zu erscheinen, so würde ich meine Tränen nicht zurückhalten.
    Sehen Sie, teurer Freund, das ist eben der geheime Fluch des Exils, daß uns nie ganz wöhnlich zumute wird in der Atmosphäre der Fremde, daß wir mit unserer mitgebrachten, heimischen Denk- und Gefühlsweise immer isoliert stehen unter einem Volke, das ganz anders fühlt und denkt als wir, daß wir beständig verletzt werden von sittlichen oder vielmehr unsittlichen Erscheinungen, womit der Einheimische sich längst ausgesöhnt, ja wofür er durch die Gewohnheit allen Sinn verloren hat, wie für die Naturerscheinungen seines Landes… Ach! das geistige Klima ist uns in der Fremde ebenso unwirtlich wie das physische; ja, mit diesem kann man sich leichter abfinden, und höchstens erkrankt dadurch der Leib, nicht die Seele!
    Ein revolutionärer Frosch, welcher sich gern aus dem dicken Heimatgewässer erhübe und die Existenz des Vogels in der Luft für das Ideal der Freiheit ansieht, wird es dennoch im Trocknen, in der sogenannten freien Luft, nicht lange aushalten können und sehnt sich gewiß bald zurück nach dem schweren, soliden Geburtssumpf. Anfangs bläht er sich sehr stark auf und begrüßt freudig die Sonne, die im Monat Juli so herrlich strahlt, und er spricht zu sich selber: »Ich bin mehr als meine Landsleute, die Fische, die Stockfische, die stummen Wassertiere, mir gab Jupiter die Gabe der Rede, ja ich bin sogar Sänger, schon dadurch fühl ich mich den Vögeln verwandt, und es fehlen mir nur die Flügel…« Der arme Frosch! und bekäme er auch Flügel, so würde er sich doch nicht über alles erheben können, in den Lüften würde ihm der leichte Vogelsinn fehlen, er würde immer unwillkürlich zur Erde hinabschauen, von dieser Höhe würden ihm die schmerzlichen Erscheinungen des irdischen Jammertals erst recht sichtbar werden, und der gefiederte Frosch wird alsdann größere Beengnisse empfinden als früher in dem deutschesten Sumpf!
Dritter Brief
    Das Gehirn ist mir schwer wüst. Ich habe diese Nacht fast gar nicht schlafen können. Beständig rollte ich mich im Bett umher, und beständig rollte mir selber im Kopfe der Gedanke: Wer war der verlarvte Scharfrichter, welcher zu Whitehall Karl I. köpfte? Erst gegen Morgen schlummerte ich ein, und da träumte mir: es sei Nacht und ich stände einsam auf dem Pont-neuf zu Paris und schaute hinab in die dunkle Seine. Unten aber, zwischen den Pfeilern der Brücke, kamen nackte Menschen zum Vorschein, die bis an die Hüften aus dem Wasser hervortauchten, in den Händen brennende Lampen hielten und etwas zu suchen schienen. Sie schauten mit bedeutsamen Blicken zu mir hinauf, und ich selber nickte ihnen hinab, wie im geheimnisvollsten Einverständnis… Endlich schlug die schwere Notre-Dame-Glocke, und ich erwachte. Und nun grüble ich schon eine Stunde darüber nach, was eigentlich die nackten Leute unter dem Pont-neuf suchten. Ich glaube, im Traume wußt ich es und habe es seitdem vergessen.
    Die glänzenden Morgennebel versprechen einen schönen Frühlingstag. Der Hahn kräht. Der alte Invalide, welcher neben uns wohnt, sitzt schon vor seiner Haustüre und singt seine napoleonischen Lieder. Sein Enkel, das blondgelockte Kind, ist ebenfalls schon auf seinen nackten Beinchen und steht jetzt vor meinem Fenster, ein Stück Zucker in den Händchen, und will damit die Rosen füttern. Ein Sperling trippelt heran mit den kleinen Füßchen und betrachtet das liebe Kind wie neugierig, wie verwundert. Mit hastigem Schritt kommt aber die Mutter, das schöne Bauerweib, nimmt das Kind auf den Arm und trägt es wieder ins Haus, damit es sich nicht in der Morgenluft erkälte.
    Ich aber greife wieder zur Feder, um über das französische Theater meine verworrenen Gedanken in einem noch verworreneren Stile niederzukritzeln. Schwerlich wird in dieser geschriebenen Wildnis etwas zum Vorschein kommen, was für Sie, teurer Freund, belehrsam wäre. Ihnen, dem Dramaturgen, der das Theater in allen seinen Beziehungen kennt und den Komödianten in die Nieren sieht wie uns Menschen der liebe Gott; Ihnen, der Sie auf den Brettern, die die Welt bedeuten, einst gelebt, geliebt und gelitten haben, wie in der Welt selbst der liebe Gott: Ihnen werde ich wohl weder über deutsches noch französisches Theater viel Neues sagen

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