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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Rede floß milde von seinen sanftgewölbten Lippen, seine Augen waren klar und freundlich, und als er hörte, daß ich an einem kranken Zahne litt, errötete er und bot mir seine Dienste an. »Um Gottes willen«, rief ich, »wer sind Sie denn?« – »Ich bin der Zahnarzt Meyer aus St. Petersburg«, antwortete er. Ich rückte fast unartig schnell mit meinem Stuhle von ihm weg und stotterte in großer Verlegenheit: »Wer ist denn dort oben an der Tafel der Mann im aschgrauen Rock mit blitzenden Spiegelknöpfen?« – »Ich weiß nicht«, erwiderte mein Nachbar, indem er mich befremdet ansah. Doch der Kellner, welcher meine Frage vernommen, flüsterte mir mit großer Wichtigkeit ins Ohr: »Es ist der Herr Theaterdichter Raupach.«
Zweiter Brief
    …Oder ist es wahr, daß wir Deutschen wirklich kein gutes Lustspiel produzieren können und auf ewig verdammt sind, dergleichen Dichtungen von den Franzosen zu borgen?
    Ich höre, daß ihr euch in Stuttgart mit dieser Frage so lange herumgequält, bis ihr aus Verzweiflung auf den Kopf des besten Lustspieldichters einen Preis gesetzt habt. Wie ich vernehme, gehörten Sie selber, lieber Lewald, zu den Männern der Jury, und die J. G. Cottasche Buchhandlung hat euch so lange ohne Bier und Tabak eingesperrt gehalten, bis ihr euer dramaturgisches Verdikt ausgesprochen. Wenigstens habt ihr dadurch den Stoff zu einem guten Lustspiel gewonnen.
    Nichts ist haltloser als die Gründe, womit man die Bejahung der oben aufgeworfenen Frage zu unterstützen pflegt. Man behauptet z.B., die Deutschen besäßen kein gutes Lustspiel, weil sie ein ernstes Volk seien, die Franzosen hingegen wären ein heiteres Volk und deshalb begabter für das Lustspiel. Dieser Satz ist grundfalsch. Die Franzosen sind keineswegs ein heiteres Volk. Im Gegenteil, ich fange an zu glauben, daß Lorenz Sterne recht hatte, wenn er behauptete, sie seien viel zu ernsthaft. Und damals, als Yorick seine »Sentimentale Reise nach Frankreich« schrieb, blühte dort noch die ganze Leichtfüßigkeit und parfümierte Fadaise des alten Regimes, und die Franzosen hatten im Nachdenken noch nicht durch die Guillotine und Napoleon die gehörigen Lektionen bekommen. Und gar jetzt, seit der Juliusrevolution, wie haben sie in der Ernsthaftigkeit, oder wenigstens in der Spaßlosigkeit, die langweiligsten Fortschritte gemacht! Ihre Gesichter sind länger geworden, ihre Mundwinkel sind tiefsinniger herabgezogen; sie lernten von uns Philosophie und Tabakrauchen. Eine große Umwandlung hat sich seitdem mit den Franzosen begeben, sie sehen sich selber nicht mehr ähnlich. Nichts ist kläglicher als das Geschwätze unserer Teutomanen, die, wenn sie gegen die Franzosen losziehen, doch noch immer die Franzosen des Empires, die sie in Deutschland gesehen, vor Augen haben. Sie denken nicht dran, daß dieses veränderungslustige Volk, ob dessen Unbeständigkeit sie selber immer eifern, seit zwanzig Jahren nicht in Denkungsart und Gefühlsweise stabil bleiben konnte!
    Nein, sie sind nicht heiterer als wir; wir Deutsche haben für das Komische vielleicht mehr Sinn und Empfänglichkeit als die Franzosen, wir, das Volk des Humors. Dabei findet man in Deutschland für die Lachlust ergiebigere Stoffe, mehr wahrhaft lächerliche Charaktere als in Frankreich, wo die Persiflage der Gesellschaft jede außerordentliche Lächerlichkeit im Keime erstickt, wo kein Originalnarr sich ungehindert entwickeln und ausbilden kann. Mit Stolz darf ein Deutscher behaupten, daß nur auf deutschem Boden die Narren zu jener titanenhaften Höhe emporblühen können, wovon ein verflachter, frühunterdrückter französischer Narr keine Ahnung hat. Nur Deutschland erzeugt jene kolossalen Toren, deren Schellenkappe bis in den Himmel reicht und mit ihrem Geklingel die Sterne ergötzt! Laßt uns nicht die Verdienste der Landsleute verkennen und ausländischer Narrheit huldigen; laßt uns nicht ungerecht sein gegen das eigne Vaterland!
    Es ist ebenfalls ein Irrtum, wenn man die Unfruchtbarkeit der deutschen Thalia dem Mangel an freier Luft oder, erlauben Sie mir das leichtsinnige Wort, dem Mangel an politischer Freiheit zuschreibt. Das, was man politische Freiheit zu nennen pflegt, ist für das Gedeihen des Lustspiels durchaus nicht nötig. Man denke nur an Venedig, wo, trotz der Bleikammern und geheimen Ersäufungsanstalten, dennoch Goldoni und Gozzi ihre Meisterwerke schufen, an Spanien, wo, trotz dem absoluten Beil und dem orthodoxen Feuer, die köstlichen Mantels- und

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