Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition)
dämpfenden Feuergeist nannte, im Besitze einer überraschend schnellen Fassungsgabe war, während der Genosse, trotz aller Anstrengung, mit ihm nicht Schritt halten konnte. So fiel Letzterer denn auch frühzeitig in Schwermuth und nachdem er Zögling der Militärakademie und Offizier geworden war, nahm er sich das Leben. Erheiternd mag ein solcher Gespiele schwerlich auf K. gewirkt haben; beider Naturen begegneten sich vielmehr in frühem Trübsinn und erwachsen von einander getrennt, sollen sie einmal schriftlich übereingekommen sein, freiwillig aus diesem Leben zu scheiden. Von dem Charakter des 1788 verstorbenen Vaters wissen wir bisher nichts; eine knappe Bemerkung in einem Briefchen Kleist’s an Rühle von Lilienstern vom J. 1806 scheint anzudeuten, daß die (1793 gestorbene) Mutter weichen Herzens war und daß er diese Eigenschaft von ihr geerbt hat. Mit dieser Gefühlsrichtung stimmt überein, daß K. ein bedeutendes musikalisches Talent entwickelte, so daß er, Tieck’s Ueberlieferung zur Folge, ohne die Noten zu kennen, sogar mehrere Instrumente vortrefflich zu spielen verstand. In seinem zehnten Jahre kam er zu dem Prediger Catel nach Berlin und, wie Tieck erzählt, etwa 15 Jahre alt als Junker zur Garde. Dies stimmt mit Wilbrandt’s Annahme, nach welcher K. im J. 1792 Soldat wurde, genau überein. Eduard v. Bülow’s Angabe, daß er im J. 1795 als vierter Fähndrich in das Garderegiment zu Fuß in Potsdam eingetreten sei, ist hingegen nicht genau, denn aus dem ersten Briefe Kleist’s an Ulrike, der auf dem Regimentsmarsche nach dem Rhein, von Eschborn im Nassau’schen am 25. Februar 1795 geschrieben ist, geht hervor, daß er erst von Westphalen die Nachricht von seiner Beförderung zum Offizier abschicken zu können glaubte. Daß mit dieser Beförderung doch nur die Fähndrichsstufe gemeint sein kann, erhellt daraus, daß K. in der Rangliste von 1796 als vierter Fähndrich im Regiment Garde zu Fuß in Potsdam eingeschrieben ist. Würde der Frieden dem Rheinfeldzuge nicht ein Ende gemacht haben und wäre K. zu wirklichen Kriegsdiensten gekommen, so hätte dies vielleicht seine ganze Zukunft beeinflußt; aber von Natur dem Soldatenstande wenig geneigt, wurde ihm in Potsdam der bloße Garnisondienst geradezu widerwärtig. Ein unwiderstehlicher Drang nach Wissen und innerer Bildung, nach freiem geistigen Leben, bemächtigte sich seiner; er ließ sich von dem Conrector Bauer unterrichten und studirte in Gesellschaft eines jüngeren Kameraden, außer den alten Sprachen, besonders Philosophie und mathematische Wissenschaften. In diese Zeit des Potsdamer Aufenthaltes fällt das erste uns bekannte Liebesverhältniß Kleist’s mit einem Mädchen aus adligem Geschlecht. Das Scheitern desselben machte ihn schwermüthig und menschenscheu, er vertiefte sich desto mehr in seine Studien und verwendete auf seine äußere Erscheinung nicht mehr die frühere Sorgfalt. Als er zuletzt durch eigenes Denken Probleme erfaßte, welche der Lehrer ihm nicht hatte anschaulich machen können, stand sein Entschluß das Heer zu verlassen und sich ganz den Wissenschaften zu widmen, fest und er reiste nach seiner Geburtsstadt, wo sich damals eine Universität befand, um dort das Nöthige vorzubereiten. Hier hatte seit dem Tode der Mutter deren Schwester, die Ordnung und Ruhe liebende Frau v. Massow, die Wirthschaft übernommen. Die Familie, in welcher der Soldatenstand sich als eine Ueberlieferung fortgeerbt hatte und sein Vormund, ja sein Jugendlehrer, der inzwischen in Frankfurt Geistlicher geworden war, erklärten sich sämmtlich gegen sein Vorhaben, während Ulrike allein eine billigere Auffassung der geistigen Bedürfnisse des Bruders gehabt zu haben scheint. Die in Eduard v. Bülow’s „H. v. Kleist’s Leben und Briefe“ mitgetheilten Schreiben an den Lehrer vom 18. und 19. März 1799 sind maßgebend für die Kenntniß jener Lebenskämpfe. Zunächst verdient hervorgehoben zu werden, daß es einer edlen und tiefen Natur durchaus entspricht, wenn K. in dem ersten dieser Schreiben das ihn allgemein Bestimmende, Ideale und erst in dem zweiten das, was sich auf seine damalige besondere Lage bezieht, entwickelt; wie denn überhaupt in den meisten seiner Briefe aus jener Zeit sich das idealistische Streben wiederspiegelt, welches durch die größten Geister unserer Kunst und Wissenschaft in die Lebensluft der Nation eingedrungen war. Seiner Vernunft nach hatte der 22jährige alle Elemente zum reinsten Glücke in sich;
Weitere Kostenlose Bücher