Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition)
zweite Reihe von werthvollen Briefen, von denen wir bisher 16 aus dem 1848 erschienenen Buche Eduard v. Bülow’s kannten, während Karl Biedermann sich jetzt ein neues Verdienst erwirbt, indem er zunächst in „Nord und Süd“ deren weitere 18, worunter auch den eben angeführten herausgibt. Beide Reihen stammen aus dem Nachlasse der am 25. April 1852 gestorbenen Wilhelmine und die nunmehr von Biedermann zur Oeffentlichkeit gebrachte ist um so höher zu schätzen, als die Besitzerin sie wegen ihres die reinste Leidenschaft athmenden Inhaltes zurückbehalten und Bülow mehr die ethisch und pädagogisch gefaßten zur Benutzung gegeben hatte.
Nachdem K. mit Wilhelmine verlobt war, mochte ihn die Nothwendigkeit sich und seiner zukünftigen Frau eine Lebensstellung zu verschaffen, schon im Sommer 1800 nach Berlin getrieben haben. Der oben erwähnte Brief an Wilhelmine zeigt ihn bereits in Frankfurt unschlüssig in der Wahl einer Laufbahn. Die Rechte wollte er nicht studiren, „nicht die schwankenden, ungewissen, zweideutigen Rechte der Vernunft“; an die Rechte seines Herzens wolle er sich halten und ausüben wolle er sie, „was auch alle Systeme der Philosophie dagegen einwenden mögen.“ An das diplomatische Fach denkend schrieb er: „ach Wilhelmine, ich erkenne nur ein höchstes Gesetz an, die Rechtschaffenheit und die Politik kennt nur ihren Vortheil.“ Hält man diese Bekenntnisse zu den früher seinem Lehrer gemachten und möglichst noch absprechenderen über den Militärstand, so wird man gewahr, daß der Kreis der Wirklichkeit, in dem er am Ende doch leben mußte, für ihn in dem Maße enger und unleidlicher wurde, wie der seiner sittlichen und bereits keimenden künstlerischen Ideen sich erweiterte. In Berlin war er anfangs aber doch voll guter Hoffnung. Er ging daselbst mit dem – später Bülow von Varnhagen v. Ense als ein Mann voll hohen Ernstes der Seele geschilderten – mecklenburgischen Edelmanne v. Brockes, mit Ernst v. Pfuel, Rühle v. Lilienstern und dem Grafen zur Lippe um. Auch hatte er eine vorläufige Beschäftigung im Accise- und Zolldepartement, als Vorbereitung zur cameralistischen Laufbahn übernommen. Auf einem Besuche bei den Frankfurter Verwandten zeigte er sich aber auf einmal entschlossen eine Reise anzutreten, die für seine ganze Zukunft von höchster Wichtigkeit wäre, deren eigentlichen Zweck er aber selbst Ulriken und seiner Braut sehr geheim hielt. Wien sollte das Ziel sein, aber wie wir sogleich sehen werden, hinderten ihn die Umstände es zu erreichen. Nachdem er Brockes in Pasewalk aufgesucht und ihn, wie es scheint, vollständig in sein Geheimniß eingeweiht hatte, so daß dieser ein Geldopfer von 600 Thalern brachte und sich seinen Verwandten gegenüber so stellte, als sei K. nur sein Begleiter, reisten beide gegen Ende August 1800 zunächst nach Leipzig, wo sie einen wahren Studentenstreich ausführten, indem sie sich von dem Magnificus Wenck Matrikel auf falsche Namen ausstellen ließen, um sie als Reisepässe zu benutzen. Schon Koberstein hat versucht sich Aufklärung über diese geheimnißvolle Reise zu verschaffen; aber Kleist’s Nichte, die im Besitze der Briefe ihrer Tante Ulrike war, konnte ihm nur sagen, diese hätte erklärt die Reise wäre politischer Natur gewesen. Wilbrandt hingegen glaubt, „daß K. auf dieser Reise nur sich selbst, d. h. seinen Dichterberuf und nichts anderes suchte.“ Diese Auffassung hat etwas sehr Edles und Bestechendes; aber manche Briefstellen, die sich an Thatsachen knüpfen, widersprechen ihr geradezu, namentlich der Umstand, daß K. in einem erst jetzt durch Biedermann veröffentlichten Schreiben aus Dresden vom 3. September 1800 seiner Braut anzeigt: „Soeben komme ich von dem englischen Ambassadeur Lord Elliot zurück, wo wir Dinge gehört haben, die uns bewogen nicht nach Wien zu gehen, sondern entweder nach Würzburg oder nach Straßburg.“ Die Wahrheit scheint nun darin zu bestehen, daß K. vom Berliner Zolldepartement einen auf Auskundschaften industrieller Verhältnisse gerichteten und politische Beobachtungen nicht ausschließenden Auftrag gehabt hat, daß sich aber theils durch den verlängerten Aufenthalt in Süddeutschland, dessen Naturschönheiten ihn anregten, theils durch das Zusammensein mit Brockes, die Keime des Dichterthums mächtiger in ihm zu regen anfingen. Nur so erklären sich die bald die realen, bald die idealen Ergebnisse dieser Reise betreffenden Schriftstellen.
Schon die bisher nach den
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