Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition)
unserer Theilnahme desto werther entwickelt sich aber sein Geschick von dem Augenblicke an, wo die ungemessensten Anstrengungen nach Vervollkommnung und später nach Anerkennung bei ihm zu wahren Leidenschaften heranwachsen und ihn zum Erleben jenes Glückes unfähig machen. Den zweiten Brief nennt K. selbst eine getreue Darstellung seines ganzen Wesens und hofft, daß er den geliebten Lehrer nicht ungerührt lassen wird. „Der Soldatenstand, dem ich nie von Herzen zugethan gewesen bin, weil er etwas durchaus Ungleichartiges mit meinem ganzen Wesen in sich trägt, wurde mir so verhaßt, daß es mir nach und nach lästig wurde zu seinem Zwecke mitwirken zu müssen. Die größten Wunder militärischer Disciplin, die der Gegenstand des Erstaunens aller Kenner waren, wurden der Gegenstand meiner herzlichsten Verachtung; die Offiziere hielt ich für so viele Exerciermeister, die Soldaten für so viele Sclaven, und wenn das ganze Regiment seine Künste machte, schien es mir als ein lebendiges Instrument der Tyrannei. Dazu kam noch, daß ich den üblen Eindruck, den meine Lage auf meinen Charakter machte, lebhaft zu fühlen anfing. Ich war oft gezwungen zu strafen, wo ich gerne verziehen hätte, oder verzieh, wo ich hätte strafen sollen und in beiden Fällen hielt ich mich selbst für strafbar. In solchen Augenblicken mußte natürlich der Wunsch in mir entstehen einen Stand zu verlassen, in welchem ich von zwei durchaus entgegengesetzten Principien unaufhörlich gemartert wurde, immer zweifelhaft war ob ich als Mensch oder als Offizier handeln mußte, denn die Pflichten beider zu vereinen halte ich bei dem jetzigen Zustande der Armeen für unmöglich. Und doch hielt ich meine moralische Ausbildung für eine meiner heiligsten Pflichten, eben weil sie, wie ich eben gezeigt habe, mein Glück gründen sollte und so knüpft sich an meine natürliche Abneigung gegen den Soldatenstand noch die Pflicht ihn zu verlassen.“ K. stellt nun dar, welche Einwürfe ihm im Kreise seiner Familie gemacht worden sind, aber alle diese Ermahnungen trafen seinen Entschluß nicht. „Nicht aus Unzufriedenheit mit meiner besseren Lage, nicht aus Mangel an Brot, nicht aus Speculation auf Brot, sondern aus Neigung zu den Wissenschaften, aus dem eifrigen Bestreben nach einer Bildung, welche nach meiner Ueberzeugung in dem Militärdienste nicht zu erlangen ist, verlasse ich denselben.“ Was sich in diesen Geständnissen abspiegelt, ist nicht blos die eigenthümliche Artung eines philosophisch und poetisch angelegten Jünglings, sondern auch der Wendepunkt der beiden Jahrhunderte, und merkwürdig genug bleibt es, daß der kurz darauf eingetretene Sieg der rohen Gewalt über den Humanismus der Revolution wesentlich zum Untergange Kleist’s beigetragen hat. General Rüchel hatte in Potsdam dem wissenschaftlichen und freidenkerischen Treiben Kleist’s längst mit Unwillen zugesehen; als dieser jedoch um seinen Abschied anhielt, redete er ihm ins Herz und der König soll sogar geneigt gewesen sein, dem Wissensdurstigen Urlaub auf unbestimmte Zeit zu gewähren, damit er nach seiner Studienzeit wieder beim Regimente eintreten könne.
Als Seconde-Lieutenant entlassen, studirte K. nun von Ostern 1799 ab in Frankfurt a. O. vorzugsweise Philosophie. Bei Hüllmann hörte er Geschichte, bei Wünsch Mathematik und außerdem besuchte er die Vorlesungen von Huth, Kalau und Madihn. Nach einer Julian Schmidt gegebenen Versicherung Dahlmann’s hat K., wie aus seinen Collegienheften hervorging, ernste, nicht blos dilettantische Universitätsstudien gemacht. Wie ernst es ihm damals mit den Wissenschaften war, geht auch daraus hervor, daß er eine (nicht erhaltene) Abhandlung über die Kant’sche Philosophie schrieb. Die erste Zeit des Frankfurter Aufenthaltes verlief ziemlich glücklich. Sein Drang das Wahre und Schöne zu verbreiten, veranlaßte ihn seinen Schwestern und deren Freundinnen Unterricht zu ertheilen, er ließ sich sogar, da ihm der Lehrberuf vorschwebte, im elterlichen Hause ein Katheder errichten und hielt seinen jungen Zuhörerinnen culturgeschichtliche Vorlesungen. Die ästethische Erziehung, die er sich und anderen gab, hatte eine gewisse Weihe über ihn ausgebreitet, ohne daß er darum dem im ganzen Hause herrschenden heiteren Tone abhold gewesen wäre. Eine schroffe Abneigung gegen das Gemeine war überhaupt eine seiner hervorragendsten Eigenschaften. Die Idee der inneren Sittlichkeit war gerade damals so stark in ihm, daß die Nachricht
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