Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition)
lassen konnte. Es ist dies das von August Krüger gemalte, wie es scheint, einzig vorhandene Bildniß Kleist’s und nach demselben hat Bülow von H. Sagert das Titelkupfer zu seiner Biographie Kleist’s anfertigen lassen. Der Kopf ist mehr einnehmend als schön, das Gesicht etwas breit mit starken Backenknochen, die Stirn trotz des übergekämmten Haares hoch, das Auge mit den scharf gezeichneten Augenbrauen ausdrucksvoll, der Mund schön geschnitten und sinnlich, das bartlose Kinn wohlgeformt. Der allgemeine Ausdruck ist, worüber K. sich beschwert, da der Maler ihm empfohlen hat zu lächeln, freundlich und läßt keine Seelenunruhe ahnen, so daß der sich Verabschiedende wol mit Berechtigung schrieb: „es liegt etwas Spöttisches darin, das mir nicht gefällt, ich wollte er hätte mich ehrlicher gemalt.“ Tieck sagt uns in seinen Vorreden zu den hinterlassenen und zu den gesammelten Schriften Kleist’s, daß er von mittlerer Größe und ziemlich starken Gliedern war. „Er schien ernst und schweigsam, keine Spur von vordringender Eitelkeit, aber viele Merkmale eines würdigen Stolzes in seinem Betragen.“ Er schien Tieck, der ihn übrigens, wie er selbst gesteht, nicht viel kannte, mit dem Bilde von Torquato Tasso Aehnlichkeit und mit diesem die etwas schwere Zunge gemein zu haben.
Unter den hier dargestellten Kämpfen hat K. eine „Geschichte meiner Seele“ geschrieben, von welcher Rühle eine Abschrift besessen haben und die litterarisch sehr werthvoll gewesen sein soll. Sie scheint leider gänzlich verloren zu sein, läßt aber vermuthen, daß die gleichlautenden Stellen in den Briefen an die beiden Mädchen auf den Text der Geschichte seiner Seele zurückzuführen sind. „Die Sprache“, hatte K. einmal Ulriken gebeichtet, „kann die Seele nicht malen“ und doch war er gewissenhaft und kühn genug es zu unternehmen. Mitte April 1801 abgereist, trafen die Geschwister, da sie in Deutschland zahlreiche Ausflüge gemacht und hervorragende Persönlichkeiten besucht hatten, erst am 10. Juli 1801 in Paris ein. Sie bezogen eine Wohnung in der Rue Royer Nummer 21 und gingen viel mit der Tochter des berühmten Astronomen Lefrançais de Lalande um, der 1751 von der französischen Akademie zu wissenschaftlichen Zwecken nach Berlin geschickt worden war. Die Bekanntschaft dieser Familie hatten sie wahrscheinlich durch Alexander v. Humboldt gemacht, der sich damals gerade in Paris aufhielt. Ulrike legte Mannskleider an und glaubte sich auf diese Weise freier bewegen zu können; K., der zum Theil auch durch den preußischen Gesandten v. Lucchesini einige Gelehrte kennen lernte und Vorlesungen hörte, kam bald von diesen Versuchen wieder zurück. So sehr man einerseits auch bedauern muß, daß das ungeheure Treiben der Weltstadt außer Stande war die geistige Eingezogenheit Kleist’s zu verändern, so sehr muß man andrerseits die Unbestechlichkeit bewundern, mit welcher seine tief-sittliche Lebensanschauung den Freuden des Pariser Lebens gegenüber stand. Das Jahresfest der Erstürmung der Bastille, dem er beiwohnte, konnte nach seiner Ueberzeugung nicht unwürdiger als durch diesen Aufwand frivoler Volkszerstreuungen begangen werden. Keine der gemachten Anstrengungen erinnerte, wie er am 18. Juli, vier Tage nach dem Feste, der mit dem Maler Lohse verlobten Henriette v. Schlieben, die er in Dresden kennen gelernt hatte, schreibt, an die Hauptgedanken. Rousseau würde sich schämen, wenn man ihm sagte, daß dies sein Werk sei. Wilhelminen berichtet er am 15. August, er könne ihr nicht beschreiben, welchen Eindruck dieser Anblick der höchsten Sittenlosigkeit bei der höchsten Wissenschaft auf ihn mache. Die französische Nation sei reifer zum Untergange als irgend eine andere europäische Nation und wenn er sich die Bibliotheken ansehe, wo in prächtigen Sälen und in prächtigen Bänden die Werke Rousseau’s, Helvetius’ und Voltaire’s stehen, denke er, was haben sie genützt? Dieser Brief, einer der merkwürdigsten, die wir von K. besitzen, läuft in einer scharfsinnigen philosophischen Abhandlung aus, die an Geist und Form eine auffallende Aehnlichkeit mit einem Essay von Montaigne hat und die Alles in Allem genommen spinozistisch ist. „Dieselbe Stimme, die dem Christen zuruft seinem Feinde zu vergeben, ruft dem Seeländer zu ihn zu braten – und mit Andacht ißt er ihn auf. Wenn die Ueberzeugung solche Thaten rechtfertigen kann, darf man ihr trauen? Was heißt das auch etwas Böses thun, der Wirkung
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