Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition)
Umherschwärmen von Schmetterlingen nennt), vertauschte er seine Wohnung in Thun mit einem völlig abgelegenen Häuschen auf der Aarinsel. Hier, wo eine Fischerstochter ihm die Wirthschaft führte, vollzog sich die Auflösung des Verhältnisses zu Wilhelmine, über welche die Veröffentlichung Biedermann’s endlich nähere Aufschlüsse gibt. K. hatte schon von Frankfurt a. M. aus, am 2. December 1801, Wilhelminens Einwände gegen das Landleben zu widerlegen gesucht. „Alles“, schrieb er, „ist vergessen, wenn Du Dich noch mit Fröhlichkeit und Heiterkeit entschließen kannst“, und bedeutungsvoll fügt er hinzu: „die Antwort auf diesen Brief soll entscheidend sein.“ Wilhelmine antwortete um die Zeit des Jahreswechsels und stürmte, wie K. selbst gesteht, mit vieler Herzlichkeit auf ihn ein zurückzukehren ins Vaterland. Nachdem er sie ein viertel Jahr ohne Rückantwort gelassen hatte, beschwerte sie sich am 10. April 1802 bitter und zeigte ihm zugleich den plötzlichen Tod ihres Bruders an, der sie selbst dem Tode nahe gebracht hatte. Trotzdem schickte K. ihr aber am 20. Mai seinen Abschiedsbrief, in welchem man, außer einer schlecht verhüllten Härte, einen Widerspruch mit sich selbst finden könnte, wenn man nicht im Auge behalten müßte, daß K. sich überhaupt in Extremen bewegte und vom Weibe die unbedingteste Aufopferung träumte und dichtete. Er gesteht einerseits ein, daß er, nachdem er wegen des Volksaufstandes die feste Ansiedlung in der Schweiz aufgegeben, angefangen habe für ein Glück anzusehen, daß sie ihm nicht in die Schweiz habe folgen wollen und dennoch knüpft er an diesen Mangel von Ergebung an, um das Verhältniß aufzulösen. Wenn er, so heißt es in diesem letzten Schreiben an Wilhelmine, nicht mit Ruhm ins Vaterland zurückkehren könne, so geschähe es nie. In dieser Lage wecke ihr Brief wieder die Erinnerung an sie, „die glücklicher Weise ein wenig ins Dunkel getreten war“. Darum solle sie ihm nicht mehr schreiben, er habe keinen anderen Wunsch als bald zu sterben. In diesen inneren Zerrüttungen sind indessen zwei Lichtpunkte hervorzuheben: in der mehr oder weniger berechtigten Ueberzeugung, in der Fremde und in der Einsamkeit seinen Dichterberuf besser erfüllen zu können, opferte K. ihm seine Liebe, die eine ernste war und machte gerade zu jener Zeit Riesenanstrengungen ihm nachzukommen. Er arbeitete auf der Aar-Insel an verschiedenen Werken, sicher an dem ihn wahrhaft verzehrenden „Robert Guiskard“, vielleicht aber auch an Entwürfen zu den nicht auf die Nachwelt gekommenen Trauerspielen „Peter der Einsiedler“ und „Leopold von Oesterreich“. Nach mündlicher Mittheilung Pfuel’s an Wilbrandt war die Hauptscene des ersten Actes dieses letzteren Drama’s (weiter war es überhaupt nicht gediehen) die, daß die Ritter Leopolds vor der Schlacht von Sempach würfeln, wer wol umkommen wird und wer nicht. Da nach einander alle Würfel schwarz fallen, so verstummt allmählich das Lachen, das die ersten Würfe begleitete und ahnungsvoll sehen die Ritter ihren Untergang voraus. In Folge einer Erkrankung im Juni 1802 siedelte K. nach Bern über, wo der Arzt und Apotheker Dr. Wyttenbach, ein Freund Zschokke’s, ihn behandelte. Er mußte sich von dort im August in verzweifelter Stimmung an seinen Schwager v. Pannewitz um Geld wenden. Ulrike kam selbst und begleitete ihn nach seiner Genesung im October nach Deutschland zurück. Er begab sich, den aus der Schweiz ausgewiesenen Ludwig Wieland mitnehmend, zunächst nach Jena und dann sehr bald nach Weimar, wo er den Dichter des Oberon auf seinem zwei Stunden entfernt gelegenen Gute Osmanstädt besuchte. „Wiewol“, schrieb Wieland später (am 10. April 1804) an einen Pfarrer bei Wiesbaden, der ihn um Aufschlüsse über den ihm räthselhaft vorkommenden jungen Mann gebeten hatte, „mir nichts mehr zuwider und peinlich ist als ein überspannter Kopf, so konnte ich doch seiner Liebenswürdigkeit nicht widerstehen.“ Kleist’s Zurückhaltung würde vermuthlich ein näheres Verhältniß abgeschnitten haben, wenn der gutmüthige alte Dichter nicht durch seinen Sohn erfahren hätte, daß ihm eine Einladung in Osmanstädt zu wohnen sehr erwünscht wäre. Sie fand statt und wie Wieland in seinem Briefe an jenen Pfarrer weiter erzählt, wurde K. sein Commensal auf eben dem Fuß, als ob er zu seiner Familie gehörte. Nach langem Drängen gestand K., auf welchen Wieland’s hübsche Tochter nicht ohne Eindruck geblieben
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