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Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition)

Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich von Kleist
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nach? Was ist böse? Absolut böse? Tausendfältig verknüpft und verschlungen sind die Dinge der Welt, jede Handlung ist die Mutter von Millionen anderen und oft die schlechteste erzeugt die beste. Sage mir: „wer auf dieser Erde hat schon etwas Böses gethan?“ Die Philosophie des Tragikers war somit bei K. schon in Paris vollständig ausgebildet und es kann kaum einen wichtigeren Beitrag zur Phänomenologie des Kunstprocesses geben als diesen, weil durch ihn bewiesen wird, daß wenn bei vielen Dichtern sich erst die Gestalten und dann die Ideen offenbaren, bei anderen das grade Gegentheil der Fall ist. Allerdings ist diese Kleist’sche Philosophie mehr dem Gefühl als dem Verstande entsprungen, aber dennoch entwickelte sich das plastische Element, das Kunstkörperliche bei ihm langsamer und später. Wie unendlich erhaben K. aber damals schon über dem Weltgetriebe überhaupt stand, wie weit sein Ideenkreis sich erstreckte, mag folgende Stelle aus demselben Briefe erweisen: „Wer wird nach Jahrtausenden von uns und unserem Ruhme reden? Was wissen Asien und Afrika und Amerika von unseren Genien? Und nun die Planeten? Und die Sonnen? Und die Milchstraße? Und die Nebelstraße?“ Ohne daß K. es ahnte, entwickelte Paris in ihm seine verschiedenen Anlagen, auch die humoristisch-satirische, denn bis dahin hatte er noch nichts geschrieben, was dem ergötzlichen Briefe an Luise „die goldene Schwester“ vom 16. August auch nur ähnlich wäre: zuerst die in Schwarz gemalte fast griesgrämige Darstellung von Paris und seiner Sittenverderbtheit, und endlich der folgende poetische Ausbruch, der bereits die Bilderhast in den früheren Briefen an Poesie unendlich übertrifft: „Große, stille, feierliche Natur, Du die Kathedrale der Gottheit; deren Gewölbe der Himmel, deren Säulen die Alpen, deren Kronleuchter   die Sterne, deren Chorknaben die Jahreszeiten sind, welche Düfte schwingen in den Rauchfässern der Blumen, gegen die Altäre der Felder, an welchen Gott Messe liest und Freuden austheilt, zum Abendmahl unter Kirchenmusik, welche die Ströme und die Gewitter rauschen, indessen die Seelen entzückt ihre Genüsse an dem Rosenkranze der Erinnerung zählen. So spielt man mit Dir!“ – Doch dies könnte man immerhin noch Reflexionspoesie nennen, aber das reizende Bild des Pariser Liebespärchens, das diesen recht eigentlich zur Litteratur Kleist’s gehörenden Brief schließt, ist bereits ächte, Höheres verheißende Poesie. Endlich muß als Frucht dieses scheinbar fruchtlosen Pariser Aufenthaltes noch angeführt werden, daß der Franzosenhaß, der sich damals schon bei K. zeigte, sich theils durch den bloßen Gegensatz des Deutschen und Romanischen, theils durch das hohe Rechtsgefühl des Dichters, das später in Michael Kohlhaas so schön zum Ausdrucke kam, entband.
    Wer sich in diese philosophisch poetische Stimmung Kleist’s vertieft und vorhandenen Andeutungen nach für wahrscheinlich hält, daß er schon in Paris an dem Drama „Robert Guiskard“ gearbeitet hat, was seine Verachtung der Außenwelt allerdings noch deutlicher erklärte, den kann sein im October 1801 gereifter Entschluß sich in der Schweiz anzukaufen und Landmann zu werden, kaum Wunder nehmen. Schon vor der Pariser Reise und namentlich in einem längeren Berliner Briefe vom 13. November 1800 hatte er Wilhelmine einen ähnlichen Plan zum Stillleben mitgetheilt und sich entschlossen gezeigt „dem ganzen prächtigen Bettel von Adel, Stand, Ehre und Reichthum zu entsagen“, wenn er nur Liebe bei ihr findet. Am 10. und am 27. October 1801 schrieb er über das neue Vorhaben an Wilhelmine und bat sie es zunächst ihrer und seiner Familie zu verschweigen. Er fühlte daß es unbescheiden war ein Opfer von ihr zu verlangen, wie das auf dem Lande seine Gefährtin zu werden; aber wenn sie es selbst bringen könnte? Ulrike, das gesteht er der Braut offen ein, hat alles Mögliche gethan ihn, wie sie es nennt, auf den rechten Weg zurückzuführen, sie glaubt nicht einmal, daß die Ausführung des Planes ihn glücklich machen wird. Aber obgleich Wilhelmine sich gegen denselben erklärt hatte, stand sein Entschluß fest und im November 1801 verließ er, Ulrike bis Frankfurt a. M. begleitend, Paris. Die Schwester, für welche eine Schweizerreise im Winter an und für sich schon mißlich gewesen wäre, kehrte nach Hause zurück, während K. mit dem Maler Lohse, dem er in Frankfurt begegnete und der nach Italien wollte, zu Fuß nach der Schweiz ging.

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