Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition)
Durch das gegen Ende des Jahres 1881 bei Spemann in Stuttgart erschienene Werk: „Heinrich v. Kleist in der Schweiz“, von Theophil Zolling, wird dieser wichtige, wenn auch nur kurze Abschnitt im Leben des Dichters zum ersten Male ausführlicher beleuchtet. Unter geistvollen, wenn auch oft zu strengen Ausführungen über K. selbst hat Zolling den Schweizer Kreis des 25jährigen Dichters bis in sein engstes, den alten Wieland und die Wittwe Salomon Geßner’s nahe berührendes Familienleben und bis zur Einwirkung der damaligen politischen Wirren auf diese Verhältnisse dargestellt. Am 16. December 1801, einige Tage nach seiner Ankunft in Basel, schrieb K. in den liebevollsten Ausdrücken an Ulrike; er ließ seinem Schmerze über die Trennung freien Lauf und hoffte, daß sie ihm Alles verzeiht. Heinrich Zschokke, den er aufsuchte und der, da er in Frankfurt a. O. studirt und gelehrt hatte, ein alter Bekannter des Kleist’schen Hauses sein mochte, war augenblicklich, von Schweizer Staatsgeschäften ausruhend, nach Bern gezogen, wo er mit Heinrich Geßner, dem zweiten Sohne Salomon Geßner’s, litterarisch verkehrte. So lernte K., als er nach Bern ging, durch Zschokke auch Geßner und Wieland’s ältesten Sohn Ludwig kennen. Heinrich Geßner hatte nämlich Wieland’s vierte, durch Schönheit ausgezeichnete Tochter Charlotte Wilhelmine geheirathet und der alte Wieland seinen etwas unfolgsamen und freigeistig gesinnten Aeltesten zu dem Schwiegersohne nach Bern geschickt, wo dieser sich, nachdem er die Orell-Geßner-Füßli’sche Buchhandlung verlassen, nach kürzerem Aufenthalte in Aarau und Luzern, als Helvetischer National-Buchdrucker und selbständiger Buchhändler angesiedelt hatte.
Geßner und Wieland hatten zwar nicht entfernt die dichterische Anlage Zschokke’s und noch viel weniger Kleist’s, aber durch Ursprung und Bildung waren sie mit der gesammten poetischen Bewegung in Deutschland verwachsen und Wieland, von dem später Mancherlei gedruckt wurde, ließ es schon damals an Ausarbeitungen und humoristischen Ergüssen nicht fehlen. So bewegte sich K. in einem im Ganzen anregenden Kreise und es kam besonders in Zschokke’s Wohnung zu gegenseitigen Mittheilungen der geistigen Erzeugnisse, unter Anderem auch zu der des von Kleist wahrscheinlich schon früher begonnenen und in der Schweiz weitergeführten Trauerspiels: „Die Familie Schroffenstein“, von welchem Zschokke in seiner „Selbstschau“ sagt, daß „im letzten Act das allseitige Gelächter der Zuhörerschaft wie auch des Dichters so stürmisch und endlos wurde, daß bis zu seiner letzten Mordscene zu gelangen Unmöglichkeit wurde.“ Trotzdem brachte K. auf seine neuen Freunde vollkommen die Wirkung eines Dichtergenies hervor, wie dies aus den Eindrücken, welche der alte Wieland in Weimar durch die Briefe seines Sohnes erhielt und aus den Geständnissen Zschokke’s ersichtlich ist. In diesen heißt es unter Anderem: „Wir vereinten uns auch wie Virgil’s Hirten zum poetischen Wettkampf. In meinem Zimmer hing ein französischer Kupferstich: „la cruche cassée.“ In den Figuren desselben glaubten wir ein trauriges Liebespärchen, eine keifende Mutter mit einem Majolikakruge und einen großnasigen Richter zu erkennen. Für Wieland sollte dies Aufgabe zu einer Satire, für K. zu einem Lustspiele, für mich zu einer Erzählung werden. Kleist’s „Zerbrochener Krug“ hat den Preis davongetragen.“ Da dieses Lustspiel wie es jetzt vorliegt, erst viel später und nicht in der Schweiz vollendet worden ist, so muß das Berner Preisstück wol nur eine vorläufige Bearbeitung gewesen sein. Wenn ferner, wie es heißt, Wieland K. veranlaßt hat die Handlung der Familie Schroffenstein von Spanien nach der Schweiz oder Deutschland zu verlegen, so muß es auffallen, warum die Frage noch nicht gestellt worden ist, wie das Stück ursprünglich geheißen hat. Zschokke spricht von dem vorgelesenen und ausgelachten Stücke, indem er es unter dem Titel nennt, den es heute noch führt.
Wie dem auch sein mag, der Berner Dichterkreis löste sich bald wieder auf. In Folge ausgebrochener Unruhen, die K. fürchten ließen die Schweiz könnte unter französische Herrschaft fallen, gab er den Plan ein kleines Gut zu kaufen, obgleich Ulrike ihm bereits das Geld dazu vorgeschossen hatte, auf und nachdem er im März 1802, in Gesellschaft Wieland’s, Zschokke zu Fuß nach dem Aargau begleitet hatte (eine Reise die Letzterer in seiner Selbstschau das
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