Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition)
sichersten Zeugnissen verfolgte eigenthümliche Entwickelung Kleist’s erklärt, warum sein mehr autodidaktisches Studieren in Berlin so wenig von langer Dauer sein konnte, wie das methodischere in Frankfurt. Sein Drang nach Gründlichkeit vermochte sein frühzeitiges Anlangen auf den Höhen menschlichen Strebens nicht zu verhindern, von denen herab das Gelehrtenthum ihm, zum Theil mit Unrecht und zu seinem Schaden, klein vorkam. „Diese Menschen“, schrieb er, „sitzen sämmtlich wie die Raupe auf einem Blatte, jeder glaubt seines sei das Beste und um den Baum kümmern sie sich nicht.“ Aber das bisher Erwähnte hatte den neuen Wendepunkt in seinem Leben nur vorbereitet; entscheidend wirkten folgende Ereignisse. Brockes, für den, wie der herrliche bereits die tiefste und zarteste psychologische Auffassung bekundende Brief an Wilhelmine aus Berlin vom 31. Januar 1801 in der Bülow’schen Sammlung beweist, K. einen wahrhaft antiken Freundescultus hatte, trennte sich von ihm, um ein Amt in Mecklenburg anzunehmen und mit ihm verlor er, wie er sich ausdrückte, den einzigen Menschen in der volkreichen Königsstadt, der jede, auch die geheimste Falte seine Herzens kannte. Andererseits und dies war ein weit unberechenbareres Unglück, hatte die Kant’sche Philosophie, die K., wie es scheint, erst seit Kurzem in Berlin kennen gelernt hatte, ihn zu einem der Verzweiflung nahen Skeptiker gemacht, so daß er in einem Briefe an Ulrike von Berlin den Februar 1801 wehmüthig ausrief: „selbst die Säule, an welcher ich mich sonst in dem Strudel des Lebens hielt, wankt. – – Ich meine die Liebe zu den Wissenschaften.“ Am 22. März schreibt er der Schwester: „es scheint, als ob ich eines von den Opfern der Thorheit werden würde, deren die Kantische Philosophie so viele auf dem Gewissen hat. Mich ekelt vor dieser Gesellschaft und doch kann ich mich nicht losringen aus ihren Banden. Der Gedanke, daß wir hier von der Wahrheit nichts, gar nichts wissen, daß das was wir Wahrheit nennen, nach dem Tode ganz anders heißt und daß folglich das Bestreben sich ein Eigenthum zu erwerben, das uns auch in das Grab folgt, ganz vergeblich und fruchtlos ist, dieser Gedanke hat mich in dem Heiligthum meiner Seele erschüttert. Mein einziges und höchstes Ziel ist gesunken, ich habe keines mehr.“ Der Braut schrieb er an demselben Tage über dieses innere Ereigniß zum Theil in denselben Ausdrücken und diese suchte ihn mit Gründen des gesunden Menschenverstandes zu widerlegen. Unter den vielen Geständnissen Kleist’s ist dieses eines der merkwürdigsten und bezeichnendsten und man darf sich wundern, daß seine Biographen es nicht schärfer ins Auge gefaßt haben: Weniger der Zweifel an der Natur des Bestehenden, als der an das in ihm Entstehende vollendete seine Verzweiflung. Von Ideen und Idealen erfüllt, deren Gestaltung bei ihm, namentlich damals, nur langsam und mühselig vor sich ging, wandte er die Zweifel an der Wirklichkeit des Geschaffenen auf die Wahrheit seiner eigenen noch erwarteten Geschöpfe an und sah diese vernichtet, noch bevor sie gestaltet waren. Rechnet man eine fast selbstmörderische Strenge gegen das eigene Kunstgebilde, bei dem glühendsten Eifer nach Unsterblichkeit, oder wie er vor diesem Zauberworte erröthend sagt, „nach Erwerbung eines Eigenthums, das uns auch in das Grab folgt“, hinzu, so kann man die Tiefe der Abgründe und das Verzehrende der Widersprüche ermessen, in denen er lebte. So entschloß er sich aufs neue zu reisen, indem er hoffte „die Bewegung würde ihm zuträglicher sein als dieses Brüten auf einem Flecke“, das in Wahrheit weit mehr ein Stürmen als ein Brüten war. Er hatte, ohne bestimmten Plan, hauptsächlich Paris in Auge gefaßt und sich dorthin Empfehlungen an Gelehrte geben lassen. Als der Augenblick der Abreise herannahte, erschrak er über sein Vorhaben, wollte es jedoch, da man schon zuviel davon gesprochen hatte, nicht mehr aufgeben. Ulrike, der er früher versprochen hatte, sie im Falle er ins Ausland ginge mitzunehmen, lud er zwar zur Mitreise ein, hegte aber die stille Hoffnung, sie würde schon des Kostenpunktes halber ablehnen. Als sie nun aber wider Erwarten zusagte, schrieb K. in einer Art fatalistischer Anwandlung am 9. April an Wilhelmine: „wir dünken uns frei und der Zufall führt uns allgewaltig an tausend feingesponnenen Fäden.“ Er fügte diesem seinem Briefe sein Miniaturporträt hinzu, das er wegen Mangels an Geld nicht einfassen
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