Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition)
war, seinem freundlichen Wirth endlich, „daß er an einem Trauerspiel arbeite, aber ein so hohes und vollkommenes Werk darin seinem Geiste vorschwebe, daß es ihm noch immer unmöglich gewesen sei es zu Papier zu bringen. Er habe zwar schon viele Scenen nach und nach aufgeschrieben, vernichte sie aber immer wieder, weil er sich selbst nichts zu Dank machen könne.“ Es gelang Wieland endlich ihn zu bewegen, ihm einige der wesentlichsten Scenen und mehrere „Morceaux“ aus anderen aus dem Gedächtniß vorzudeclamiren. Wieland gesteht, daß er erstaunt war und er glaubt nicht zu viel zu sagen, wenn er versichert: „wenn die Geister des Aeschylus, Sophokles und Shakespeare sich vereinigten eine Tragödie zu schaffen, sie würde das sein, was Kleist’s „Tod Guiskard des Normannen“, sofern das Ganze demjenigen entspräche, was er ihn damals hören ließ.“ „Von diesem Augenblicke an“, fährt Wieland fort, „war es bei mir entschieden, K. sei dazu geboren die große Lücke in unserer dramatischen Litteratur auszufüllen, die, nach meiner Meinung wenigstens, selbst von Schiller und Goethe noch nicht ausgefüllt worden ist. In Jena hatte K. Schiller, in Weimar Goethe besucht und war von beiden freundlich aufgenommen worden. Daß er den „Guiskard“ gerade in Weimar wiederholt umdichtete und damit, wie Pfuel Wilbrandt mitgetheilt hat, Goethe, so hoch er ihn auch verehrte, „den Kranz von der Stirne reißen wollte“, ist für diese den Himmel aus Abgründen stürmende Natur sehr bezeichnend.
Anfang März 1803 ging K. nach Leipzig und nahm dort Unterricht in der Declamation bei Kerndörffer. Die Schweizer Freunde hatten indessen „Die Familie Schroffenstein“ ohne den Namen des Verfassers herausgegeben und sie fand in einigen Zeitschriften mehr Lob als man erwarten konnte, während K. seiner Schwester am 14. März schrieb, sie möge das Stück ungelesen lassen, es sei eine „elende Scharteke“. Daß es im Uebrigen nicht durchgedrungen war, beweist der Umstand, daß Männern wie Varnhagen, Fouqué, Chamisso, die K. in Berlin kennen lernten, bei dessen Verschwiegenheit unbekannt blieb, daß er der Dichter dieser Tragödie sei. Sie ist sein unreifstes größeres Werk, höchst gewagt in der Motivirung und zum Theil auch im Versbau vernachlässigt, was zu bestätigen scheint, daß K., der sonst unaufhörlich feilte, das Stück aufgegeben hat. Die Festigkeit der Charakteristik und einzelne Schönheiten vermögen für diese Mängel nicht zu entschädigen.
Wir finden K. dann in Dresden, wo er Pfuel, Rühle und die Familie Schlieben wiedersah. Seine Gemüthsstimmung war so verdüstert, daß er Henriette v. Schlieben, die wegen ihres Bräutigams besorgt war, von Doppelmord sprach und Pfuel wiederholt den gemeinschaftlichen Selbstmord antrug. Dieser suchte ihn durch ein neues Reiseproject zu zerstreuen, und nachdem Ulrike wiederum mit Geld und durch persönliches Erscheinen in Dresden zu Hülfe gekommen war und er auch die Freude erlebt hatte von Wieland einen Brief zu erhalten, in welchem dieser ihm schrieb, er müsse den „Guiskard“ vollenden und wenn der ganze Kaukasus auf ihn drückte, reiste er am 20. Juli mit Pfuel, meist zu Fuß, nach der Schweiz. In Genf brach seine volle Verzweiflung aus: er war zu der Ueberzeugung gekommen, daß er den „Guiskard“ nicht vollenden könne und schrieb am 5. October 1803 an Ulrike jenen merkwürdigen bei Koberstein unter Nr. 25 mitgetheilten Brief, der als ein wahres Denkmal dieses ungeheuern Kampfes der Seelenkräfte gelten kann. „Ich habe nun ein halbtausend hintereinander folgende Tage, die Nächte der meisten mit eingerechnet, an den Versuch gesetzt zu so vielen Kränzen noch einen auf unsere Familie herabzuringen: jetzt ruft mir unsere heilige Schutzgöttin zu, daß es genug sei. Sie küßt mir gerührt den Schweiß von der Stirn und tröstet mich, wenn jeder ihrer lieben Söhne nur ebensoviel thäte, so würde unserem Namen ein Platz in den Sternen nicht fehlen. – – – Die Hölle gab mir meine halben Talente, der Himmel schenkt dem Menschen ein ganzes oder gar keins.“ Die Freunde gingen nun durch Südfrankreich nach Paris; hier aber zerfiel K. in einem Streite über Sein und Nichtsein förmlich mit Pfuel, der, während ersterer in der Hitze hinweggerannt war, auszog und nur ein Billet an ihn zurückließ. Hierauf verbrannte K. alle seine Papiere, worunter der bereits mehrmals zerstörte „Guiskard“ und, wie Bülow vermuthet, die Dichtungen
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