Saemtliche Werke von Jean Paul
Schönheit, überall anders; die Köpfe sind hier spitz, dort breit; so ists mit den Herzen, die darunter sind – Schönheit und Tugend zanken und lieben sich wie ein Paar Schwestern, und doch geben sie einander ihren Putz (bezog sich) – Man denkt nie so gern an die Tugend, als wenn man die Rosenmädchen in Salency sieht – Sie wird auch an andern Orten gekrönt (bezog sich wieder) u. s. w.«
Kurz jeder Ton und Blick erwies nicht, sondern setzte es schon voraus, daß Tugend nichts wäre – als der Ökonomus des Magens, die Konviktoristin der Sinne, die Offiziantin und Tochter des Körpers. Der Liebe gings wie der Tugend. »Die Julie des Jean Jaques« (sagte einer) »ist wie tausend Julien oder wie Jean Jaques selber: sie beginnt mit Schwärmen, endigt mit Beten – aber das Fallen ist zwischen beiden.«
Niemand, als wer einmal in Gustavs Lage war, wer einmal das verheerende Bestürmen seiner tiefsten Überzeugung von der Möglichkeit und Göttlichkeit der Tugend in einem Kreise witziger und entscheidender Leute von Stande erlitt; wen unter solchen Erschütterungen, deren jede ein Riß in die Seele ist, sein eignes Unvermögen kränkte, solche Tugend- und Heiligen-Stürmer zu beschämen, geschweige zu bekehren; wen unter diesen Herodes- Beschimpfungen seiner Heilandin nicht einmal der Stolz aufrichtete, der zwar gern mit uns auf unserm besondern Zimmer isset, aber an der table d’hôte aus unserem Innern eilt – – bloß also wer in solchen Lagen keuchte, kann sich Gustavs Alpdrücken in der seinigen denken.
Selbst Beatens Angesicht, das die Partei der Tugend und der Liebe nahm, konnt’ ihn nicht gegen jene persiflierenden Frostgesichter decken, aus denen, wie aus Gletscher-Spalten bei wechselnder Witterung, schneidende Winde bliesen und die das Herz zerphilosophierten und das Gefühl des eignen Werts zerrissen. In Gustavs Alter machen die Gustave zwei grundfalsche Schlüsse – sie suchen erstlich unter jeder tugendhaften Zunge ein tugendhaftes Herz, zweitens aber auch unter jeder schlimmen ein schlimmes.
Gustav würde wenig darnach gefragt haben, daß er nicht viel antworten, geschweige fragen konnte, wären ihm nicht zwei Ohren gegenüber gesessen, die etwas Bessers wert waren, als was sie zu hören bekamen. Er glitschte allemal neben der rechten Taste hinaus und griff Konsonanzen, wo Dissonanzen in der Partitur geschrieben standen, und umgekehrt. Bald erstaunte er über die fremden freimütigen Lizenzen, bald erstaunten seine Nachbarn über seine; und Witz wär’ ihm leichter gewesen, als einen Ton zu treffen, der ihm bald zu kühn, bald zu feig vorkam. – Das wars aber nicht eigentlich: sondern sein wichtiger Fehler, der wie ein Fußblock seine Füße hielt, war,
daß er logisch richtig dachte. –
Den Fehler haben viele; und ich selber mußte mich viele Vormittage üben und mit der Seele voltigieren, eh’ ich einigermaßen unzusammenhängend und hüpfend denken konnte nur wie ein halber Narr. Ich hätt’ es am Ende doch zu nichts gebracht, wenn ich mich nicht zu Weibern in die Schule und auf die Schulbank gesetzet hätte. Diese denken weit weniger logisch, und wer bei ihnen den guten Ton nicht erlernt, aus dem ist nichts zu machen – als ein deutscher Metaphysiker. Antworten sie wohl jemals Ja oder Nein, statt dessen, was nicht zur Sache gehöret? Drücken sie sich über das Wichtigste bedachtsam und mit prozessualischen Weitläuftigkeiten aus oder über das Frivolste frivol? Hören und üben sie Persiflieren ungern, oder legen sie – Ballköniginnen und Gouvernanten der bureaux d’esprit freilich ausgenommen – wohl je den geringsten Akzent, Accent und Wert auf ihre Tisch-, Nachttisch-, Spiegel- und andre Reden? Oder legen sie einen auf Wahrheiten? Zum Glück nimmt diese Feinheit des Tons, die das Fakultätsiegel und der Handwerkgruß der Weiber ist, mit der Feinheit der Stoffe zu, die eine umhat. Ein paar kleine deutsche Städte, etwa Unterscheerau u. a., müssen sich mir nicht entgegenwerfen, wo freilich die dasigen Weiber, die sich lieber Damen nennen hören, mit nichts Laute von sich geben als mit dem artikulierten Fächer und Schlepprock, den Insekten gleich, deren Stimme nicht aus dem Munde, sondern aus dem schwirrenden Flugwerk und Bauchtrommelfell hervorsauset.
Viele muten mir zu, diese Ähnlichkeit des weiblichen und des Hoftons gar hinaus zu beweisen: ich habe ja die Feder in der Hand und brauche bloß einzutunken. Ein Sopranist im guten Ton (ich werde des Wohlklangs
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