Saemtliche Werke von Jean Paul
männliche Patienten an, »weil er zu Hause einen hätte und sich den Gedanken an ihn wegkurieren wollte«. Der Kranke selber hörte schon den Abendwind seines Lebens wehen. Vor einigen Wochen glaubte er zwar noch, im Frühlinge könnt’ er den Scheerauer Gesundbrunnen in Lilienbad trinken, und dann würd’ es schon anders mit ihm werden. (Armer Kranker! es ist eher anders mit dir geworden.) Allein ein gewisses Fieberbild, das er nicht entdeckte, sprach ihm sein krankes Leben ab; und sein Aberglaube an diesen Traum war so fest, daß er seitdem seine Blumenstöcke nicht mehr begoß, seine Vögel weggab und alle Wünsche auslöschte, bloß den Wunsch nach Gustav nicht.
Es war am andern Tage gerade Markttag. Dieses Getöse hatte für seine der Todesstille geweihten Ohren zu viel Leben; und Gustav mußte sich an sein Bette setzen, damit er unter dem Sprechen und Hören nicht auf den Markt hinunterhorchte. Gustav erschrak, als er endlich lebhaft fragte: »ob er Beaten noch liebe.« Er wich dem Ja aus; aber Amandus raffte das wenige Leben, das noch in seinen Nerven wärmte, zusammen und sagte, wiewohl in langen Pausen zwischen jedem Satze: »Ach, nimm ihr dein Herz nicht – o! wenn du sie kenntest wie ich – ich war oft bei ihrem Vater – ich sah, wie sie mit stummer Geduld seine Hitze trug – wie sie die Fehler ihrer Mutter auf sich nahm – voll Güte, voll Sanftmut, voll Demut, voll Verstand – so ist sie – ach ohne ihr Bild wär’ in meinem Leben wenig Freude gewesen – gib mir die Hand, daß du sie mehr liebest wie mich.« Er nahm sie selber; aber den Freund schmerzte das Nehmen.
Plötzlich drängte sich in seine eingesunkenen Wangen-Adern vielleicht die letzte Schamröte, die oft wie Morgenröte vor einer guten Tat voreilt: er verlangte seinen Vater her. An diesen tat er mit so viel Feuer, mit so viel Sehnsucht in Aug’ und Lippe die Bitte, – – Beaten herzuholen, die ja einem Sterbenden nicht die letzte Bitte versagen könne, daß sein Vater es auch nicht konnte; sondern versprach (trotz dem Gefühle der Unschicklichkeit), zu ihrer Mutter zu fahren und durch diese jene herzubereden und beide zu bringen. – Fenk wußte, daß in seiner ganzen Krankheit kein Abschlagen etwas verfing – daß er, wenn er ihn am letzten vergeblichen Wunsche gestorben sähe, den Gedanken nicht tragen könne, dem Leichnam die Todesminuten, die er noch ausschlürfte, verbittert zu haben – und daß Mutter und Tochter zu gut wären, um nicht gegen seinen Sohn zu handeln wie er: kurz er fuhr.
Als der Vater hinaus war, sah der Kranke unsern und seinen Freund mit einem solchen Strom von lächelnd versprechender Liebe an, daß Gustav von der treuen müden Seele, deren Scheiden so nahe war, den längsten Abschied dieses Lebens nehmen wollte: »Meine Lippen«, dacht’ er, »sollen nur noch einmal gedrückt auf seinen liegen und meine Brust auf seiner – nur noch einmal will ich den warmen Leichnam umschließen, da noch eine Seele darin mein Umfassen fühlt – nur noch einmal will ich seinem wegziehenden Geiste, da ich ihn noch erreiche, nachrufen, wie ich ihn geliebt habe und lieben werde.«Unter diesen Wünschen heiligte das schönste Weihwasser des Menschen sein Auge. Aber er unterließ dennoch alles, weil er besorgte, unter diesem Sturm des letzten Liebens ließen die gerissenen Bande des Körpers die bewegte Seele los und an seinem Munde stürbe der Schwache….
Diese Zärtlichkeit, die sich selbst aufopfert und nicht aus der Nonnenzelle des Herzens tritt, gefällt mir mehr als ein belletristischer und theatralischer Final-Orkan, wo man empfindet, um es zu weisen, um eine Tränen- und Dinten-Fistel zu haben wie andre, um von seinen Empfindungen, wie vom Schnupftuch, womit man sie trocknet, einen Zipfel aus der Tasche herauszuhenken.
Der Doktor, von dem man in Maußenbach noch kein betrübtes Gesicht gesehen, gewann schon durch seine überflorte Heiterkeit seine traurige Bitte. Mein Gerichtherr, der sein angebornes Mitleid allezeit gewaltsam dämmte, weil es gleich einem Papagei sein Geld wegtrug, überließ alles dem fremden wohltätigen Tränenstrom hier desto williger, weil er ihm nichts davonführte als – auf eine Stunde Frau und Tochter. Der schlimmere Mensch hat eine größere Freude über eine sich abgerungene gute Tat als der bessere. Röper schrieb selber an die Tochter seinen Befehl, mitzufahren, und brachte die besten Gründe dafür aus der natürlichen und der theologischen Moral kurz bei. Aber der beste
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