Saemtliche Werke von Jean Paul
Stunde, wo ihm die Liebe eines Menschen so wohl tat, aus dem Schlosse fort, aber die Stellen des Herzens, an denen es ihn anfaßte, bluteten. Ein solcher Gang durch die Nacht beugt die Seele nieder, und seinen Freund sah er auf diesem kurzen Wege mehr als zehnmal sterben. Bei jedem Vogel, den sie aus dem Bette jagten, dacht’ er: wie wirst du im Finstern dein Ästchen wiederfinden? – bei jedem zerfließenden Licht, das weit von ihm durch die Nacht wandelte, dacht’ er: welchen Seufzern, welchen sauern Schritten wird es jetzt den langweiligen Steig beleuchten? und es war ihm, als säh’ er das menschliche Leben gehen. Es machte ihn nicht fröhlicher, als er einige Sonnenwagen, von einem Sonnenhof aus Fackeln umlegt, die unnützen Gäste des Souper, das sie wie er verließen, so fliegend heimrollen sah, als führen sie einem sterbenden Freunde entgegen. Endlich wickelte sich die schlummernde Stadt aus den Schatten heraus; das Pharuslicht des Türmers und einige weit auseinander gesäete Lichter, die wahrscheinlich die lange Nacht eines Kranken trübe und ungeputzt abmaßen, fielen auf den Trauer-Grund seines Innern.
Leise pochte er am Krankenhause, leise wurde aufgemacht, leise stieg er hinauf; bloß die Uhr lärmte wie ein Trauergeläute ins stumme Trauerhaus, mit ihren zwölf Schlägen, die er da so oft gehört. – Ach im Bett litt eine Gestalt, der man alles verzeihen will und die man noch ein wenig zu lieben und zu erfreuen eilt, eh’ sie sich nicht mehr regt. Nicht das schmutzige eingedorrte Krankengesicht, nicht die von Fiebern weggebeizte Lebensfarbe, nicht die Runzeln der Lippe waren es an Amandus (oder sind es an andern Kranken), was Gustavs Herz und Hoffnungen zerschnitt, sondern das schwer gedrehte, aufflackernde, wilde und doch ausgebrannte verglasete Krankenauge, in das alle Leiden der vorigen Nächte und die Nähe der letzten so leserlich geschrieben waren.
Amandus streckte ihm seine Totenhand weit heraus entgegen, als ob es möglich wäre, daß jemand anders als er sich noch an die fremde schwarze Färber- oder Totenhand erinnerte, die er ihm neulich gereicht. Für ihn war die Wiedervereinigung süßer als für Gustav, der hinter ihr die lange Trennung warten sah.
Der Morgen und die Freude hielten den Vorhang seines Lebens ein wenig im Niederfallen auf. Gustav trat als Krankenwärter an die Stelle der Krankenwärterin, erstlich weil diese alles so gut und mit so vielen Umständen und Randnoten zu machen wußte, daß sie noch in seine letzten Minuten Galle schüttete, zweitens weil es ja in der Stunde, wo die ganze Natur in Gesellschaft des Todes mit harten Griffen dem Menschen allen Putz und alle Kleidungstücke abzieht, die sie ihm geliehen, für die ohnmächtigen Freunde, die diese unerbittliche Hand nicht halten können, noch der einzige Trost ist, unter dem Entkleiden, Erfrieren und Einschlafen des Bekannten durch Lächeln, durch unbedingte Gefälligkeit gegen alle seine Launen, durch Erfüllung seines Eigensinns stille zu sein. – Auf solche Herz- und Liebedienste gegen arme Sterbende schauet man nach vielen Jahren mit mehr Zufriedenheit zurück als auf die gegen alle Gesunde auf einmal – und doch sind beide nur um ein paar Stunden verschieden; denn du steigest nicht oft in deinem Bette aus und ein, so bleibst du darin liegen….
Lieber Tod! ich denke jetzt an mich. Wenn du einmal in meine Stube trittst: so erweise mir den Gefallen und schieße mich an meinem Secrétaire oder Schreibtische Knall und Fall tot; wirf mich, lieber Tod, nicht hinter die Vorhänge aufs Krankenbette und suche mit deinem Trennmesser langsam jede Ader, um sie vom Leben loszutrennen, so daß ich dir ganze lange Nächte ins zergliedernde Gesicht sehen muß oder daß unter deinem langen Seidenzupfen meines Seelenkleides alles herläuft und gesund zuschaut, der Rittmeister, der Pestilenziarius und meine gute Schwester. – Reitet dich aber der Henker, daß du keine Vernunft annimmst: so, lieber Tod – da keine Hölle ewig dauert – scher’ ich mich auch nichts darum, um die letzte Schererei nach tausend Scherereien.
Der Doktor Fenk hatt’ in seinem Gesicht nicht die Ängstlichkeit vor einem kommenden Verlust, sondern das Trauern über einen dagewesenen; er hielt seinen Sohn für ein zerschlagenes Porzellan-Gefäß, dessen Scherben man noch in der alten Zusammensetzung auf den Putzschrank stellt und das von dessen kleinster Erschütterung auseinanderfällt. Er verbot ihm daher nichts mehr. Er nahm sogar einige
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