Saemtliche Werke von Jean Paul
die erste ganz. Er war froh, den Gegenstand der letzten nicht da zu finden, weil er die Verlegenheit der ersten Blicke scheuete. Beata lag krank.
Er sperrte sich ein; er machte seine Brust jenem Schmerze auf, der nicht wohltätige blutende Wunden in sie schneidet, sondern ihr dumpfe Schläge gibt, jenem nämlich, der in dem Zwischenraum zwischen dem Todes- und dem Begräbnistage bei uns ist. Der letzte war am Sonntage, wo ich meinen Sektor betrübt bloß mit Ottomars Briefe ausfüllte und wo ich so traurig schloß. Ich tats gerade in der Stunde, wo der Entschlafne aus dem kleinen Sterbebette ins große Bette aller Menschen getragen wurde, wie die Mutter die auf Bänken entschlummerten Kinder in die größere Ruhestätte legt. Sonntags floh Gustav aus dem Schlosse, wo die lärmenden Staatswägen und Bedienten gleichsam über sein Herz gingen, mit eingehüllten Sinnen hinaus. Er fühlte zum ersten Male, daß er auf der Erde nicht einheimisch sei, das Sonnenlicht schien ihm das in unsere Nacht gewebte Dämmerlicht eines größern Monds zu sein. Ob er gleich jetzo seinem weggerückten Freunde sich auf dieser Erde weder nähern noch entziehen konnte: so sagte sein Schmerz doch, es würde ihm, wenn er auch nicht den Leichnam, nicht den Sarg, sondern nur das Grabes-Beet umfaßte, das auf diesen Samen einer schönern Erde drückte, es würde ihm Tröstung werden; und er stellte sich daher auf einen entfernten Hügel, um zu sehen, ob noch Leute auf dem Eremitenberge wären.
Sein Auge begegnete gerade dem größten Jammer, den es an diesem Abend für ihn hienieden gab: der durch den Abend hindurch blinkende weiße Sarg wurde herausgehoben – eine entzweifallende Rose, eine durchlöcherte Puppe, ein sich ausspannender Schmetterling, der jene als Würmchen zernagt hatte, waren auf die Sargpuppe gemalet und kamen mit ihren beiden Urbildern unter die Erde – der kinderlose Vater stützte sich mit Hand und Kopf an die Pyramide und hörte hinter seinen verhüllten Augen jede Erdscholle wie den Flug eines niederbohrenden Pfeiles – der kalte Nachtwind kam vom Totenberg zu Gustav herüber – Zugvögel eilten wie schwarze Punkte über sein Haupt davon, und der Naturtrieb, nicht die Länderkunde führte sie durch kalte Wolken und Nächte zu einer wärmern Sonne – der Mond arbeitete sich aus einem Blutmeere von Dünsten ohne Strahlen herauf – endlich verließen die Lebendigen den Berg und den Toten – bloß Gustav blieb auf dem andern Hügel bei ihm, die Nacht ruhte schwer hingestreckt um beide…. Genug!
Schenkt mir diese Totengräberszene! Ihr wisset nicht, welche herbstliche Erinnerungen dabei mein Blut so leichen-langsam machen wie meine Feder: ach in diese Geschichte schreib’ ich ohnehin ein Blatt, ein Trauerblatt, dessen breiter schwarzer Rand kaum den Zügen und Klagen mit Tränen eine weiße enge Stelle lässet – ich schenk’ euch diese Szene auch; denn ich weiß auch nicht, Leser mit dem schönern Herzen, wen ihr schon verloren habt, ich weiß nicht, welche liebe dahingegangne Gestalt, deren Grab schon so eingesunken ist als sie selber, ich gleich einem Traume wieder auf ihrer Grabplatte in die Höhe richte und eueren tränenden Augen von neuem zeige, und an wie viel Tote ein einziges Grab erinnere!
Verschwundner Amandus! in dem großen breiten Heer, welches das Leben dem feindlichen Tod von Jahrhundert zu Jahrhundert entgegenschickt, gingest du wenige Schritte mit, er verwundete dich oft und bald; deine Kriegkameraden legten Erde auf deine großen Wunden und auf dein Angesicht – sie kämpfen fort, sie werden dich von Jahr zu Jahr unter ihrem Kriege mehr vergessen – in ihre Augen werden Tränen kommen, aber um dich keine mehr, sondern um Tote, die erst begraben werden – und wenn deine Lilien-Mumie sich auseinander gebröckelt hat, so denkt man nicht mehr an dich; bloß der Traum lieset noch deine in den Erdball gemengte Pastell-Gestalt zusammen und schmücket mit ihr im graugewordnen Kopfe deines Gustavs seine hinter dem Leben ruhenden Jugend-Auen, die wie der Venusstern am Himmel des Leben-Morgens der Morgenstern und am Himmel des Leben-Abends der Abendstern sind und flimmern und zittern und die Sonne ersetzen…. Ich mag nicht zu deiner Seelen-Scheide, zum Leichnam, sagen: Amandus! liege sanft. Du lagst in ihr nicht sanft; o noch jetzo dauert mich dein unsterbliches Ich, daß es mehr in seinem knappen Nervengebäude als im weiten Weltgebäude leben mußte, daß es den edeln Blick nicht zu Sonnenkugeln
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