Saemtliche Werke von Jean Paul
verbergen hatte. – Ich weiß recht gut, daß diese Diskretion ein Fehler ist, dem neuere Romane nicht ungeschickt entgegenarbeiten; hat darin ein Romanheld oder Romanschreiber ein Herz bei einer Romanheldin erstanden (und das gibt sie so leicht her, als säß’ es vorn wie ein Kropf daran): so zwingt der Held oder Schreiber (die meistens einer sind) die Heldin, das Herz heraus- und hineinzutun wie der Stockfisch seinen Magen – ja der Held holet selber das Herz aus der verhüllenden Brust und weiset den eroberten Globus über zwanzig Personen, wie der Operateur ein geschnittenes Gewächs – handhabt den Ball wie eine Lorenzodose – führt ihn ab wie einen Stockknopf und versteckt das fremde Herz so wenig wie das eigne. Ich gesteh’ es, daß die Züge solcher Göttinnen von den Schreibern aus keinen schlechtern Modellen zusammengetragen sein können, als die waren, wornach die griechischen Künstler ihre Göttinnen oder die römischen Maler ihre Madonnen zusammenschufen, und man müßte wenig Weltkenntnis haben, wenn man nicht sähe, daß die Fürstinnen, Herzoginnen etc. in unsern Romanen sicher nicht so gut getroffen wären, wenn nicht dem Autor an ihrer Stelle Stuben- und noch andere Mädchen gesessen hätten; und so, indem sich der Verfasser zum Herzog und sein Mädchen zur Fürstin machte, war der Roman fertig und seine Liebe verewigt, wie die der Spinnen, die man gleichfalls in Bernstein gepaaret und verewigt antrifft. Ich sage dies alles, nicht um meinen Gustav zu rechtfertigen, sondern nur zu entschuldigen; denn diese Romanschreiber sollten doch auch bedenken, daß die angenehme Sittenroheit, deren Mangel ich an ihm vergeblich zu bedecken suche, auch bei ihnen fehlen würde, wenn sie so wie er mehr durch Erziehung, Umgang, zu feines Ehrgefühl und Lektüre (z. B. Richardsons) wären verdorben worden.
Ich schäme mich, daß Gustav eine solche Ignoranz in der Liebe hatte, daß er in einigen der besten Romanen nachsehen wollte, ob er jetzt einen Liebebrief an Beata zu schreiben habe – ja daß ihre Abwesenheit ihn in Sorgen wegen ihrer Gesinnung und in Verlegenheit über sein Betragen setzte. Aber die Stärke der Gefühle macht so gut die Zunge arm und schwer als der Mangel derselben. Zum Glück hüpfte ihm oft die kleine Laura – nicht im Park (denn nichts macht mehr Dinten- und Kaffeekleckse auf eine schöne Haut als die schöne Natur), sondern unter vier Mauern – entgegen, und die Schülerin ersetzte die Lehrerin.
Aber eine auferstandene höhere Gestalt betrat jetzo das Land seiner Liebe. Ottomar, von dessen beidlebigem Körper – als Amphibium zweier Welten – bisher so viel Redens in Vorzimmern gewesen, trat damit selber im Zimmer der Residentin auf. Sein erstes Wort zu dieser war: »sie mög’ ihm verzeihen, daß er nicht eher in ihrem Vorzimmer erschienen – er wäre beerdigt worden und hätte nicht eher gekonnt. Aber er sei der erste, der nach dem Tode so bald ins Elysium« (hier sah er schmeichelhaft an den Landschaftstücken der Tapeten herum) »und zu den Göttern käme.« Das war bloß satirische Bosheit. Bekanntlich ists schon ein bewährter Paragraph in der Ästhetik aller Elegants, daß sie – und ist mein Bruder in Lyon anders? – den Schmeicheleien, die sie den Weibern sagen müssen, den Ton und die Miene der Aufrichtigkeit völlig zu benehmen haben, womit die antiken Stutzer sonst ihre Fleuretten versahen. In diese Spott-Schmeicheleien kleidete er seinen Unmut über Weiber und Höfe. Die Weiber brachten ihn auf, weil sie – wie er glaubte – in der Liebe nichts suchten als die Liebe , indes der Mann damit noch höhere, religiöse, ehrgeizige Empfindungen zu verschmelzen wisse – weil ihre Regungen nur Eilboten und jede weibliche Hitze nur eine fliegende wäre und weil sie, wenn Christus selber vor ihnen dozierte, mitten aus den größten Rührungen auf seine Weste und seine Strümpfe gucken würden. Die Höfe erzürnten ihn durch ihre Gefühllosigkeit, durch seinen Bruder, durch den Volkdruck, dessen Anblick ihn mit unüberwindlichen Schmerzen erfüllte. Daher war seine Reisebeschreibung anderer Länder eine Satire seines eignen, und wie die französischen Schriftsteller unter den Sultanen und Bonzen des Orients einige Zeit die des Okzidents abmalten und abstraften: so war in seinen Erzählungen der Süden der Lehnträger und Pasquino des Nordens. Die sanfte Menschen-Duldung, die er sich in seinem letzten Briefe vorgesetzt, hielt er nicht länger, als bis er ihn gestippt
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