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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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kamen, indem sie ins Schloß gingen, vor dem Gärtner vorbei, und er nahm den Hut nicht ab – ferner vor dem leeren Kleid auf dem Grab, und es lag noch unter den Blumen, und vor dem Klavieristen, der noch das Lied spielte: »Jüngling, den Bach der Zeit etc.« Da wir das Feierliche nur in Büchern, selten im Leben finden: so wirkt es im letzten nachher desto stärker.
    Man muß noch merken, daß in Ottomar der Ausdruck der stärksten Gefühle durch eine gewisse Sanftheit, womit sein Weltumgang und sein Alter sie brach, unwiderstehlich in den stillen Strudel zog. Er öffnete – Kinder waren die Lakaien – ein Zimmer des dritten Stockwerks. Die Hauptsache waren nicht darin die Gemälde mit schwarzen Gründen und weißen Särgen, oder die Worte über den Särgen: »Darin ist mein Vater, darin meine Mutter, darin meine Frühlinge«, – auch der sehr große gemalte Sarg nicht, worüber stand: »Darin liegen sechs Jahrtausende mit allen ihren Menschen.« – Sondern das Wichtigste war das Ungemalte, wovor sich Gustav tief bückte: eine schöne Frau, die sich zu einem unserm Gustav fast ähnlichen Kinde herabneigte, weil es ihr etwas leise sagen wollte; ferner bückt’ er sich vor einem alten Offizier in Uniform, der eine zerrissene Landkarte, und vor einem schönen jungen Italiener, der ein fliegendes Stammbuch hielt. Das Kind hatte einen Vergißmeinnicht-Strauß auf der Brust, die Frau und die zwei Männer hatten einen schwarzen Strauß. Aber was noch mehr ihn überraschte, war der Doktor Fenk am Fenster, mit einer Rose an der Brust. – –
    Gustav eilte ihm zu; aber Ottomar hielt ihn. »Es ist alles von Wachs«, sagt’ er, nicht mit einem kalten, gegen das Schicksal erbitterten Ton, sondern mit einem ergebenen. »Alles, was mir in meinem Leben Liebe und Freude gab, steht und bleibt in diesem Zimmer – wer gestorben ist, dem gab ich schwarze Blumen – bei meinem verlornen Kinde weiß ichs noch nicht, und seine Kleider liegen draußen im Garten…. O wem Gott Ruhe in den Busen schickt, daß sie das nackte Herz umwickele und seine Zuckungen besänftige, dem ist so wohl wie denen, die er betreuen – er tut sanft und fest sein Auge auf, wenn ihm das Schicksal holde Gestalten zuschickt, und wenn sie wieder gehen und gräßliche heranfahren, so schließt ers ruhig wieder zu.« – –
    O Ottomar! das kannst du nicht, bevor deine wogenden Kräfte am Alter sich gebrochen haben! Mach immer dein Herz drei Tage lang für die Ruhe weit; am vierten zieht es der Krampf der Freude oder des Schmerzens zusammen und drückt sie tot!
    Manche Menschen können ohne Schauder keine Wachsfiguren sehen: Gustav gehörte darunter; er nahm Ottomars Hand, um sich gleichsam ans Leben zu klammern gegen so viel Spiele und Nachäffungen des Todes…. Plötzlich lärmt etwas durch das stille Schloß… die Treppen herauf, ins Zimmer hinein… an Ottomars Hals hinan…. Fenk wars, der ihn hier nach der Auferstehung von Toten zum ersten Male umfing und dem unter der engen Umarmung keine Entfernung von dem, zwischen welchem und ihm sich Länder und Jahre und Tod gelegt hatten, klein genug zu sein vermochte. Gustav, noch an der Hand Ottomars, wurde in den Bund der Liebe mit hineingeschlungen, und wäre der Tod selber vorbeigegangen, er hätte seine kalte Sichel nicht durch drei eng, sprachlos und warm verknüpfte Herzen gedrängt. – »Rede, Ottomar,« sagte der Doktor, »das letztemal warst du stumm.« – – Ottomars Ruhe war nun zergangen: »Auch die (die Wachsfiguren) reden ewig nimmer« (sagt’ er mit zerdrückter Stimme) – »sie sind nicht einmal bei uns – wir selber sind nicht beisammen – Fleisch- und Bein-Gitter stehen zwischen den Menschen-Seelen, und doch kann der Mensch wähnen, es gebe auf der Erde eine Umarmung, da nur Gitter zusammenstoßen und hinter ihnen die eine Seele die andre nur denkt ?«
    Alle wurden still – die Abendglocke sprach über das schweigende Dorf hinüber und tönte klagend auf und nieder – Ottomar hatte wieder seine erschreckliche Vernichtung-Minute, wie er sie nennt – er trat zur wächsernen Frau und nahm das schwarze Todes-Bouquet und steckt’ es über sein Herz – er besah sich und seine zwei Freunde und sagte kalt und eintönig: »Sonach leben wir drei – das ist das sogenannte Existieren, was wir jetzt tun – wie still ists hier, überall, um die ganze Erde – eine recht stumme Nacht steht um die Erde herum, und oben bei den Fixsternen wills nicht einmal Lichter werden.« – – Zum

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