Saemtliche Werke von Jean Paul
Gesicht die Gestalt eines Reizes an. Von der Liebe kam auch ihr zweiter Verstoß, daß sie sich gegen Oefel heute weit zutraulicher und freimütiger betrug als sonst; denn ein liebendes Mädchen hat von allen übrigen Gegenständen (d. h. von den eignen Empfindungen für sie) nichts mehr zu befahren. Herr von Oefel aber addierte auf seiner Rechenhaut ein ganz andres Fazit heraus; er nahm alles für Freude, daß er nun wieder – zu haben sei. Er ging folglich mit einem Herzen fort, das der Amor so mit lilliputischen Pfeilen vollgeschossen hatte wie ein Nähkissen mit Nadeln.
Er sagte noch an jenem Tage: »Ist das Herz einer Frau einmal so weit, so braucht man nichts zu tun, als daß man sie tun lässet.« Das war ihm herzlich lieb; denn es ersparte ihm die – Bedenklichkeit, sie zu verführen. Sooft er Lovelacens oder des Chevaliers Briefe las: so wünschte er, sein einfältiges Gewissen ließ’ ihm zu, ein ganz unschuldiges widerstrebendes Mädchen nach einem feinen Plane zu verführen. Aber sein Gewissen nahm keine Vernunft an, und er mußte sein ganzes Kaper-Vergnügen auf die Verführung solcher unschuldigen Personen, die er in seinem Kopfe oder in seinem Roman agieren ließ, einschränken: so sehr herrschet im schwachen Menschen die Empfindung über die Entschließungen der Vernunft, sogar in philosophischen Damen. Mithin blieben der Weiberkenntnis Oefels statt der Fangeisen für die Unschuld nur die für die Schuld zu legen übrig, und das einzige, wo er noch mit Ruhm arbeiten konnte, war das, der Verführer von Verführerinnen zu sein.
Man erlaube mir, eine scharfsinnige Bemerkung zu machen. Der Unterschied zwischen Lovelace und dem Chevalier ist der moralische Unterschied zwischen den Nationen und Jahrzehenden von beiden. Der Chevalier ist mit einer solchen philosophischen Kälte ein Teufel, daß er bloß unter die Klopstockschen Teufel gehört, die nie zu bekehren sind. Lovelace hingegen ist ein ganz anderer Mann, bloß ein eitler Alcibiades, der durch einen Staats- oder Ehe-Posten halb zu bessern wäre. Sogar dann, wo seine Unerbittlichkeit gegen die bittende, kämpfende, weinende, kniende Unschuld ihn mehr den Modellen aus der Hölle zu nähern scheint, mildert er seine gleißende Schwärze durch einen Kunstgriff, der seinem Gewissen einige und dem Genie des Dichters die größte Ehre macht und welcher der ist, – daß er, um seine Unerbittlichkeit zu beschönigen, den wirklichen Gegenstand des Mitleidens, die kniende etc. Klarisse, für ein theatralisches, malerisches Kunstwerk ansieht und, um nicht gerührt zu werden, nur die Schönheit, nicht die Bitterkeit ihrer Tränen, nur die malerische, nicht die jammernde Stellung bemerken will. Auf diesem Wege kann man sich gern gegen alles verhärten; daher schöne Geister, Maler und ihre Kenner bloß oft darum für das wirkliche Unglück keine oder zu viele Tränen haben, weil sie es für artistisches halten.
Ich muß aber schneller zum Festtage der Residentin eilen, dessen Gewebe unsern Gustav mit Fäden so vieler Art berührt und ankittet.
Er brachte mit dem größten Vergnügen seine Rolle im Drama, wovon noch viel wird gesprochen werden, seinem Gedächtnis bei und wünschte nichts, als er könnte sie noch nicht auswendig. Beata macht’ es auch mit der ihrigen so: der Grund war, ihre Rollen waren auf dem Theater aneinander gerichtet, mithin waren es jetzt ihre Gedanken auch; und für die scheue Beata war es besonders süß, daß sie zarte Gedanken der Liebe für ihn, die sie kaum zu haben und nicht zu äußern wagte, mit gutem Gewissen memorieren konnte. Um nicht immer an ihn zu denken, zerstreuete sie sich oft durch das Geschäft des Auswendiglernens der besagten Rolle. Gute Seele! suche dich immer zu täuschen; es ist besser, es zu wollen, als garnichts darnach zu fragen! – Ihr Adoptiv-Bruder konnte bisher durchaus kein Mittel finden, ihr zu begegnen; die Residentin hatte ihn und dadurch dieses Mittel über den russischen Sektor und Torso vergessen; er selber hatte nicht Zudringlichkeit genug, noch weniger den Anstand, der sie schön und pikant macht – bis ihm Herr von Oefel mit einer feinen Miene sagte, die Residentin woll’ ihm einige Gemälde, die der Knäse dagelassen, zu sehen geben. »Ich wollt’ ohnehin schon lange das Kopieren im Kabinett anfangen«, sagt’ er und täuschte weniger jenen als sich. Über seine errötende Verwirrung sagte Oefel zu sich. »Ich weiß alles, mein lieber Mensch!«
Endlich führte ein schöner Vormittag
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