Saemtliche Werke von Jean Paul
doch. Die Morgendämmerung ist für den Tag, was der Frühling für den Sommer ist, wie die Abenddämmerung für die Nacht, was der Herbst für den Winter. Wir sahen und hörten und rochen und fühlten, wie allmählich ein Stückchen vom Tag nach dem andern aufwachte – wie der Morgen über Fluren und Gärten zog und sie wie vornehme Morgenzimmer mit Blüten und Blumen räucherte – wie er sozusagen alle Fenster öffnete, damit ein kühlender Luftzug den ganzen Schauplatz durchstriche – wie jede Kehle die andre weckte und sie in die Lüfte und Höhen zog, um mit trunkner Brust der steigenden vertieften Sonne entgegenzufliegen und entgegenzusingen – wie der bewegliche Himmel tausend Farben rieb und verschmolz und den Faltenwurf seiner Wolken versuchte und färbte…. So weit war der Morgen, da wir noch im tauenden Tale gingen. Aber als wir aus seiner östlichen Pforte hinaustraten in eine unabsehliche, mit wachsenden Girlanden und regem Laubwerk musivisch ausgelegte Aue, deren sanfte Wellenlinie in Tiefen fiel und auf Höhen floß, um ihre Reize und Blumen auf und nieder zu bewegen; als wir davor standen: so erhob sich der Sturm der Wonne und des lebenden Tages und der Ostwind ging neben ihm und die große Sonne stand und schlug wie ein Herz am Himmel und trieb alle Ströme und Tropfen des Lebens um sich herum. – –
Gustav spielt eben sanfter, und seine Töne halten meinen noch immer leicht in hypochondrische Heftigkeit übergehenden Atem auf. –
Als jetzt die Mühle der Schöpfung mit allen Rädern und Strömen rauschte und stürmte: wollten wir in süßer Betäubung kaum gehen, es war uns überall wohl; wir waren Lichtstrahlen, die jedes Medium aus ihrem Wege brach; wir zogen mit der Biene und Ameise und verfolgten jeden Wohlgeruch bis zu seiner Quelle und gingen um jeden Baum; jedes Geschöpf war ein Pol, der unsere Nadel zu Abbeugungen und Einbeugungen lenkte. Wir standen in einem Kreis von Dörfern, deren Wege alle mit fröhlichen Kirchgängern zurückkamen und deren Glocken die geistige Messe einläuteten. Endlich zogen wir auch der wallfahrtenden Andacht nach und zur Kirchtür der kühlen Ruhestätter Kirche hinein.
Wenn ein Maitre de plaisirs einem Fürsten eine Operndekoration vorschlage, die aus einer aufziehenden Sonne, tausend Leipziger Lerchen, zwanzig läutenden Glocken, ganzen Fluren und Floren von seidnen Blumen bestände: so würde der Fürst sagen, es kostete zu viel – aber der Freudenmeister sollte versetzen: einen Spaziergang kostets – oder eine Krone, sag’ ich, weil zu einem solchen Genuß nicht der Fürst, sondern der Mensch zulangt.
In der Kirche ließ ich mich auf dem Orgelstuhl nieder, um die plumpe Orgel zu kartätschen zum Erstaunen der meisten Seelen. Als Gustav in eine adelige Loge trat, saß in der gegenüberstehenden – Beata; denn eine Predigt war ihr so lieb als einer andern ein Tanz. Gustav bückte sich mit niederfallenden Augen und aufströmender Röte vor ihr und war tief gerührt über die blasse gekränkte Gestalt, die sonst vor ihm geglühet hatte – sie wars gleichfalls von der seinigen, auf der sie alle traurige Erinnerungen las, die in ihre oder seine Seele geschrieben waren. Ihre vier Augen zogen sich vom Gegenstand der Liebe zu dem der Aufmerksamkeit zurück, auf Herrn Bürger aus Großenhayn. Er fing an; ich hatte als zeitiger Organist vor, gar nicht auf ihn acht zu geben – ein Kantor macht sich aus einer Predigt so wenig wie ein Mann von Ton –; allein Herr Bürger predigte mir mit den ersten Worten das Choralbuch aus der Hand, worin ich lesen wollte. Er trug die Vergebung der menschlichen Fehler vor – wie hart die Menschen auf der einen, und wie zerbrechlich sie auf der andern Seite wären; wie sehr jeder Fehler sich ohnehin am Menschen blutig räche und gleich einem Nervenwurme den durchfresse, den er bewohne, und wie wenig also ein anderer das Richteramt der Unversöhnlichkeit zu verwalten habe; wie wenig es Verdienst habe, Unvorsichtigkeiten, kleine oder zu entschuldigende Fehler zu vergeben, und wie sehr alles Verdienst auf Übersehung solcher Fehler, die uns mit Recht erbitterten, ankomme etc. Da er endlich auf das Glück der Menschenliebe zeigte: so ruhte das brennende und strömende Auge Gustavs unbewußt auf Beatens Antlitz aus; und als endlich ihre Augen sich, dem Pfarrer zugekehrt, mit der wahren Kummer- und Freuden-Auflösung anfüllten und als sie unter dem Abtrocknen sie auf Gustav wandte: so öffneten sie sich einander ihre
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