Saemtliche Werke von Jean Paul
Wäldgen, we ich vor meiner Abreise mit Heloise war. Ein Glük oder Unglük fürte mich an den Ort, we die zwei Liebende begraben lagen, davon ich dir in einem meiner Briefe geschrieben habe. Es war der Ort, we dieienige schlummerte, die den Tod für ihren erblasten Schaz auf sich zu nemen nicht scheuete. Weiter braucht’ es nichts, in mir den glimmenden Funken zur lodernden Flamm’ anzufachen. Ich erblikte sie, die Gräber der beiden Edlen. Die ganze Szene stelte sich meiner Sel’ in al ihrer Lebhaftigkeit wieder vor. Ich erinnerte mich, wie ich mit Heloise an diesen Gräbern stand, wie wir der Liebe schwuren - Ach! da fiel mir’s auf’s Herz. Schwacher, Entnervter, sagt’ ich zu mir, ein weibliches Geschöpf, unter den Landleuten erzogen, wenig für die feinem Regungen des Herzens gestimt - scheut sich nicht, den Tod über sich zu nemen wegen ihres Geliebten - und du, der du so vol Gefüls bist, den iede entnommene Freude tausendfach verwundet; du bebst, dem Tod unter die Augen zu treten? Dein Herz wird von immerwärendem Jammer durchbort, und du zitterst, diesem Jammer ein Ende zu machen? Ich schwur, nicht länger mich zu quälen - ich eilte nach Haus; war viel freier und unbeklommener um’s Herz. Eben iezt um 11 Ur schreib ich dies; und bald werd’ ich meinem Schwur ein Genüge leisten.
Ha! Lieber! dieses ist der lezte Brief, den du von deinem ehmaligen Freund liesest. Du wirst ihn lesen, wenn er schon lange verschieden ist. Morgen ist neues Jar. Morgen feier’ ich’s im Himmel. O Freund! morgen bin ich bei Heloise. Mit Wonne, und mit Schauer blikk’ ich hin in’s vergangene Jar. Sehe Freuden, und Qualen - Got Dank! daß sich der lezte Tag desselben so herlich endet. Leb’ wol! Wilhelm! Jezt tödet sich dein Freund, das gespante Pistol liegt neben mir. Zum leztenmal blikk’ ich zum Fenster hinaus nach dem gestirnten Himmel - zum leztenmal hab’ ich diese Erde lebendig betreten und betrachtet - zum leztenmal dämmert mir der Mondstral. Ach Freund! ich weine! vorher war ich kalt; iezt wird’s Gefül der Menschheit wieder in mir rege. Alles zum leztenmal - Meine Eltern nicht mer sehen, dich nicht mer sehen, Karl’ nicht mer sehen? - Ach! tröste meine Eltern, wenn sie meinen Tod erfaren, sag’ ihnen, daß ihr unglüklicher Son eher zu bemitleiden, als zu verdammen ist. Tröste den alten grauen Vater. Sag’ ihm, bald werd’ ich ihn in ienen seligen Höhen umarmen. Küsse mein kleines Brüdergen an meiner Stat. Tröste meine liebe Mutter, mein Freund! Lebt alle wol! die ihr mich liebtet! euch alle seh’ ich wieder! auch dich, geliebter, guter, edler Freund! unter tausenden wil ich bei der Auferstehung dich suchen, vor allen andern dich umarmen, und Tränen an dich hinweinen. Lebt wol! al ihr Menschen im Sterbtal! Seid glüklicher als euer Bruder! Daß dessen Jammer keiner von euch trage, keiner so sterbe wie er! Und o! ihr Liebende! die ihr näher am Herzen mir liegt, die ihr gleichen Kummer mit mir fület, seid geduldig! last al die Tränen, die eure Augen trüben, mit ruhigem Gemüt die Wangen herabrinnen, last hoch über euch heulen den kältenden Nord, last unter euren Fus iede Freudenblum’ entblütet und entblättert werden - ach! last das al! Erinnert euch des unglüklichen Abelard, wenn ihr seinen Namen gekant habt, der mer duldete, als ihr - erinnert euch desselben, wie er in seiner Todesstund’ an euch alle dachte, und Tröstung für alle Mitleidende vom Alvater herunterstönte! -
— — Leb auch du wol, Räuber meiner Freuden! Mörder meiner Geliebten! vergeben sei dir von mir - auch du, o Got! vergieb ihm. - Lebt alle wol Mitbrüder! Mitmenschen! - Und du auch! Wilhelm! teuerer Wilhelm! Wein’ eine Träne des Mitleidens dem unglüklichen Jüngling, der so - so seine Qualen enden mus. Weine, wenn du meinen Tod hörst. Meinen modernden Körper begrabe du und Karl neben Heloise. Leb edel! Vor Jesu seh’ ich dich, umarme dich — Leb wol! Es schlägt zwölf’ aus!
Lebwol! Oh Mordgewer! zerspalte dieses Gehirn — Got!
im Himmel steh’ dem leidenden Geschöpf bei! Jesu! erbarme dich bald des Elenden, nim seine Sel’ in deine Hände! Und du, o Geist Heloise’s! steh mir bei! Bald seh’ ich! Hilf Vater! mein Got! oh! - oh! —
Der Schus geschieht, und befreiet den Unglüklichen von der langsam tödenden Qual. Man hört den Knal, läuft herzu, und findet Abelard todkämpfend. Alle Mittel werden umsonst angewand. In etlichen Minuten verscheidet er. Eine Träne noch
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