Saemtliche Werke von Jean Paul
Kammerherrn, hochmütig gegen die Stieftochter, verbindlich gegen Viktor und leicht- und gehorchend-kokett gegen Matthieu – dieser war gegen das Ehepaar abwechselnd schmeichlerisch und spottend, gegen Klotilde eiskalt und gegen meinen Helden so höflich, wie Le Baut gegen alle. Gleichwohl war Viktor froher und freier als alle, nicht bloß weil er im Freien war – da ein Zimmer allemal wie ein Stockhaus auf ihm lag und ein Sessel wie ein Fußblock –, sondern weil er unter feinen Leuten war, die (trotz der spitzigsten Verhältnisse) dem Gespräche vier Schmetterlingflügel geben, damit es – als Gegenspiel der klebenden Raupe, die sich in jedem Dorn aufspießet – ohne Getöse in kleinen Bögen über Stacheln fliege und nur auf Blüten falle. Er war der größte Freund feiner Leute und feiner Wendungen; daher ging er so gern in die Gesellschaft eines Fontenelle, Crebillon, Marivaux, des ganzen weiblichen Geschlechtes und besonders des anständig koketten Teils desselben. Man werde nicht irre! Ach an seinem Flamin, an seinem Dahore, an großen, über die feinen, feigen, leeren Mikro-Kosmologen der großen Welt erhabnen Menschen hing glühend seine ganze Seele; aber eben darum suchte er zur größern Vollkommenheit die kleinern als Gebräme und Eckenbeschläge mit so vielem Eifer auf.
Vier Personen hatten jetzt auf einmal vier Sehröhre auf seine Seele gerichtet; er nahm gar nichts in die Hand, weil er zu gutmütig und zu freudig war, um der Spion eines Herzens zu sein; und erst nach Verlauf einiger Tage beobachtete er an einem Gesellschafter das zurückgebliebene Bild in seinem Kopf. Er verbarg sich nicht – und wurde doch falsch gesehen; gute Menschen können sich leichter in schlimme hineindenken als diese in jene – er erriet besser, als er erraten wurde. Bloß Klotilde verdient eine Schutzrede, daß sie meinen Helden bis nach dem Essen – unter welchem Le Baut, der größte Erzähler dieses erzählenden Jahrhunderts, seine Rolle durchführte – für zu boshaft und satirisch hielt. Sie mußte aber fast; – eine Frau errät leicht die menschliche, aber schwer die göttliche (oder teuflische) Natur eines Mannes, schwer seinen Wert und leicht seine Absichten, leichter seine innere Farbengebung als seine Zeichnung. – Matthieu gab Anlaß zu ihrem Irrtum, aber auch (wie ich sogleich berichten werde) zur Zurücknahme desselben. Dieser Evangelist, der ein viel größerer Satirikus war als sein Namenvetter im Neuen Testament, stellte fast ganz Flachsenfingen auf seine Privat-Pillory, den Fürsten, den Hof bis zu Zeuseln nieder – nur den Minister (seinen Vater) und seine vielen Schwestern mußt’ er leider auslassen, desgleichen die Personen, mit denen er gerade sprach. Was man Verleumdung an ihm nannte, war im Grunde übertriebne Herrnhuterei. Denn da der heilige Makarius befiehlt, daß man sich aus Demut zwanzig Unzen Böses beilegen müsse, wenn man dessen fünf habe – das Gute aber umgekehrt –, so suchen redliche Hofseelen, weil sie sehen, daß keiner diese bescheidne Sprache führen will, in jedes Namen sie zu reden; und schreiben dem, dessen Demut sie repräsentieren wollen, allezeit funfzehn Unzen mehr Böses und weniger Gutes zu, als er wirklich hat. Hingegen bei gegenwärtigen Personen haben sie diese stellvertretende Genugtuung nicht nötig. Daher ist das Leben solcher Hof-Edeln ganz dramatisch; denn da nach Aristoteles die Komödie die Menschen schlechter , und die Tragödie sie besser malt, als sie sind, so lassen gedachte Edle in jener nur Abwesende , in dieser nur Gegenwärtige agieren. Ich weiß nicht, ob diese Vollkommenheit hinreicht, einen wirklichen Fehler des Evangelisten gutzumachen, welches der war, daß er, wie die Römer an Luperkalien, zu oft nach dem weiblichen Geschlecht Hiebe führte. So sagte er heute z. B.: Mädchen und Himbeere hätten schon Maden, eh’ sie nur reif wären – die weibliche Tugend wäre das glühende Eisen, das eine Frau (wie auch sonst bei den Ordalien) vom Taufstein (Tauftag) bis zum Altar (Trautag) zu tragen hätte, um unschuldig zu sein u. s. w.
Nichts fiel Klotilden – und so hab’ ichs allemal bei den Besten ihres Geschlechts gefunden – empfindlicher als Satire auf ihr ganzes Geschlecht; aber Viktor erstaunte über ihre dem Geschlecht und der Welt-Erfahrenheit gleich sehr eigne Kunst, es zu verbergen, daß sie – dulde und verachte.
Des Evangelisten Beispiel machte, daß auch Viktor anfing zu phosphoreszieren auf allen Punkten seiner
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