Saemtliche Werke von Jean Paul
Agathe nahm ihn lächelnd; aber die Ungenannte schien jenen Ernst, der sich auf weiblichen Gesichtern in nichts von der Verachtung unterscheidet als in der Zweideutigkeit, gegen den Form- und Gesichterschneider anzunehmen, weil er den Verdacht des Horchens durch seine Schere zu sehr erweckte. Viktor konnte von der Ungenannten noch nichts als die Länge wahrnehmen, die, obgleich ein wenig vorgebogen gehalten, doch über das Gewöhnliche ging. Der Gesichterschneider drehte sich mit zwei blitzenden schwarzen Augen gegen Viktor herum, empfing ihn recht artig, wußte dessen Namen, sagte seinen eignen – – Matthieu – und hatte beim achten Schritt schon vier gute Einfälle gehabt. Der fünfte war, daß er meinen Helden ungebeten dem Paar in der Seitenlaube vorstellte.
Das Laubsprachgitter hörte auf, eine weibliche Gestalt trat hervor, und Viktor war darüber so betroffen , daß er, der wenig von Verlegenheiten wußte, oder durch sie nur geistreicher wurde, seine Anzugpredigt ohne das Exordium anfing. Und das war – Klotilde.
Als sie drei Worte sagte: hörte er so sehr auf die Melodie, nicht auf den Text, daß er nichts davon verstand…
– Hier liegt auf dem schneeweißen Grund von Schweizerpapier eben die Silhouette neben mir, die Matthieu von ihr mit der Schere genommen. Mein Korrespondent will haben, ich soll Klotilden ungemein schön vorschildern (er sagt, hundert Dinge sind sonst in dieser Historie nicht zu begreifen), und deswegen schickte er mir (weil er meiner Phantasie nicht trauet) wenigstens ihren Schattenriß. Und der soll auch unter dem Schreiben in einem fort angesehen werden, um so mehr, da er einem schönsten andern weiblichen Engel, der je aus einem unbekannten Paradies in diese Erde hereingeflogen, gleichsam aus den Augen oder vielmehr aus dem Gesicht geschnitten ist – ich meine das Fräulein von **, jetzige Hofdame in Scheerau; ich weiß nicht, ob sie alle Leser kennen.
Viktor kam es vor, als wenn auf einmal sein Blut herausgedrungen wäre und mit warmen Berührungen außen auf der Haut seine Zirkel beschriebe. Endlich brachte Klotildens kaltes Auge, das nicht der trunkne Stolz auf Reize, sondern der nüchterne zurücktretende und nur dem weiblichen Geschlechte eigne auf Unschuld regierte, und – ihre Nase, die zu viel Besonnenheit verriet, seinen neuen Adam wieder auf die Beine, auf den sich schon der alte gesetzt hatte. Er pries sich glücklich, daß er Flamins Freund sei und mithin auf ihre Aufmerksamkeit und ihren Umgang einige Rechte habe. – Gleichwohl war ihm noch immer, als wenn alles, was sie täte, zum ersten Male in der Welt geschähe, und er gab auf sie acht wie auf einen operierten Blindgebornen oder auf einen Omai oder einen Li-Bu. Er dachte immer: »Wie sollt’ ihr wohl das Sitzen lassen – oder das Darreichen eines Fruchttellers – oder das Essen einer Kirsche – oder das Niedersehen in ein Briefchen?« Ich bin noch ein ärgerer Narr neben der besagten Hofdame.
Endlich kam in den Garten Le Baut nach der ersten Toilette, und seine Frau nach der zweiten. Der Kammerherr – ein kurzes, biegsames, geschnürtes Ding, das vor dem Teufel in der Hölle den Hut abziehen wird, wenns hineintritt – empfing den Sohn seines Erbfeindes ungemein verbindlich, und doch mit Würde, zu welcher ihm aber nicht sein Herz, sondern sein Stand die Kräfte gab. Viktor hegte, eben weil er sich ihn beleidigt dachte, zuvorkommendes Wohlwollen für ihn. Obgleich Le Bauts Zunge fast wie seine Zähne falsch und eingesetzt waren und mithin die aus Zahn- und Zungenbuchstaben gemachten Wörter auch: so gefiel er doch mit seinen weder plumpen, noch unhöflichen Schmeicheleien – wozu auch seine Stellungen und Absichten gehören – unserm aufrichtigen Viktor, welcher feine Schmeichler, als Schwache, nicht hassen konnte. Die Kammerherrin – die schon in den Jahren war, die eine Kokette zu verhehlen sucht, ob sie gleich die vorhergehenden noch eher zu verbergen hätte – nahm unsern gutmeinenden Helden mit der aufrichtigsten Stimme auf, die noch aus einem falschen Judasbusen gekommen, und mit dem listigsten Gesicht, auf dem nie die Täuschungen der Liebe (wie es schien) Platz zu einer Miene hatten finden können.
Die neue Gesellschaft nahm auf einmal Viktors Verlegenheit weg. Er bemerkte zwar bald die besondern Fecht- und Tanz-Stellungen des Bundes gegeneinander: Klotilde schien gegen alle zurückhaltend und gleichgültig, außer gegen ihren Vater nicht – die Stiefmutter war fein gegen den
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