Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
Vom Netzwerk:
darum an, um ein Sehrohr und ein Horn.« – – Klotilde wurde zum ersten Male von einer zürnenden Röte überflogen, wie der Morgen vor dem Regen: »Wenn Sie ihn« (sagte sie schnell) »bloß aus meiner Schilderung kennen, so können Sie diese Sonderbarkeit unmöglich unter den seinigen suchen.« Aber der Kammerherr trat dem Junker bei und sagte, Emanuel sei wirklich vor fünf Jahren mit diesem Gesuche abgewiesen worden. Klotilde sah den einzigen, dessen Aufmerksamkeit nicht ironisch war, unsern Viktor, den der Widerschein ihrer Verklärung schmückte, wie um Hülfe an und fragte mehr hoffend als behauptend: »Sollte man so etwas einem solchen Kopfe zutrauen?« – »Meinem Kopf eher« – (versetzte er, um auszuweichen; denn er, der dem jetzigen Papste widersprochen hätte, konnte oft unmöglich schönen Lippen widersprechen, zumal einer mit so vieler Hoffnung auf sein Nein vorgelegten Frage derselben) – »sooft ich nachts durch Dörfer gehe: so hör’ ich den leiblichen Nachtwächter lieber als den geistlichen. In der horchenden stillen Nacht, unter dem ausgebreiteten Sternenhimmel liegt im homiletischen Eulengesang des Nachtwächters etwas so Erhabnes, daß ich mir hundertmal ein Horn wünschte und sechs Verse.« –
    Der Kammerherr und sein Associé hieltens für verfehlte Persiflage; letzter setzte die seinige – vielleicht um Klotilden, zum Vorteil seiner mit Unterzieh-Busen und Unterzieh-Steiß bewaffneten Herzens-Zarin, zu mißfallen – unverschämt fort und führte an: das beste Mittel, den namhaften Namenlosen traurig zu machen, sei ein sehr lustiges, eine Komödie – freilich rührte ihn noch stärker ein Possenspiel, wie er selber an ihm in Goethes moralischem Puppenspiel oder Jahrmarkt gesehen.
    Da flog dem betroffenen Viktor ein neues Gesicht und eine neue Stellung an; denn er war gerade wie Emanuel. Ein Jahrmarkt mit seinen hinab- und hinauflaufenden Menschen-Bächen – mit dem Vor- und Zurückspringen der Gestalten wie an einer Bilderuhr – mit der fortsummenden Luft, in der Geigengeschrei und Menschengezänk und Viehgeblök zu einem einzigen betäubenden Brausen zusammenfließen – und mit den Buden-Warenlagern, die ein musivisches Bild des kleinen, aus Bedürfnissen zusammengeflickten Lebens reichen – – ein Jahrmarkt machte durch alle diese Erinnerungen an die große frostige Neujahrsmesse des Lebens Viktors edlen Busen schwer und voll; er versank süßbetäubt in das Getöse, und die Menschen-Reihen um ihn schlossen seine Seele in ihre stillern Phantasien ein. Das war die Ursache, warum ihn Goethes hogarthisches Schwanzstück eines Jahrmarkts (so wie Shakespeare) immer melancholisch zurückließ; so wie er überhaupt gerade im Niedrigkomischen das hohe Ernsthafte am liebsten fand – (Weiber sind nur zum umgekehrten Funde fähig) – und ein komisches Buch ohne jeden edlern Zug und Wink (z. B. Blumauers Äneis) konnt’ er so wenig wie La Mettries ekelhaft lachendes Gesicht ertragen, oder die Gesichter auf den Titelkupfern des Vademekums. – –
    Er vergaß sich und die Nachbarschaft wie ein wahrer Jüngling, breitete die Arme halb aus und sagte mit einem Auge, in dem man die sehnsüchtig an einem Bilde Emanuels arbeitende Seele sah: »Nun kenn’ ich dich, du Namenloser! du bist der hohe Mensch, der so selten ist. – – – Ich versichere Sie, Herr v. Schleunes, an Herrn Emanuel ist was!… Nein, unter diesem Leben im Flug sollte doch das Ding, das so prestissimo hinschießt aus einem Regenschauer in den andern und von Gewölke zu Gewölke, doch nicht in einem fort den Schnabel aufsperren zum Gelächter… Ich las heute wo: der Mensch hat nur dritthalb Minuten, und nur eine zum Lächeln…..« Er war ganz in seine Gefühle verirrt: sonst hätt’ er mehr zurückbehalten, besonders die letzte Zeile aus dem im Garten gefundnen Blättchen. Klotilde wurde über irgend etwas betroffen. Er hätte jetzo gern das Blättchen hinausgelesen. Sie erzählte ihm nun diejenigen Sonderbarkeiten von ihrem Lehrer, in die sie sich besser zu finden wußte: daß er ein Pythagoräer sei – nur in weißen Kleidern gehe – mit Flöten sich einschläfern und wecken lasse – keine Hülsenfrüchte und Tiere esse – und oft die halbe Nacht unter den Sternen gehe.
    Er ruhte, in stummes Entzücken über den Lehrer verloren, mit enthusiastischen Augen auf den freundschaftlichen Lippen der Schülerin, die der Geschmack an einem erhabnen Sonderling adelte. Sie fand hier den ersten Mann, den sie

Weitere Kostenlose Bücher