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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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sondern auch zukünftige  –, daß die Hofmeisterin sich doch nicht eher an Matzen rächte – ob er gleich noch dritthalb Wochen ihr diente – als eben nach dritthalb Wochen…
    Viktor zürnte über Flamins Gelächter; er liebte Laune, aber keine Neckerei. Sein versüßtes Blut fing durch diese Essigmutter allmählich zu versäuern an gegen diesen Matz, dessen kalte ironische Galanterie gegen die ehrliche Agathe ihn schon empörte, deren phlegmatischer, gleichsam verheirateter Puls übrigens in dessen Ab- und in dessen Anwesenheit dieselben Schläge tat. Noch mehr Sodbrennen und Säure sammelte sich in Viktors Herzen, weil er – der alles duldete, Eitle, Stolze, Atheisten, Schwärmer – gleichwohl keine Menschen dulden konnte, die die Tugend für eine Art von feiner Proviantbäckerei ansehen, die Wollust für erlaubt, den Geist für einen Almosensammler des Leibes, das Herz für eine Blutspritze und unsere Seele für einen neuen Holztrieb des Körpers. Dieses aber tat Matthieu, der noch dazu Neigung zum Philosophieren hatte, und der den Freund Viktors, welcher ohnehin gegen die ganze Dichter- und Geisterwelt so kalt war wie ein Staatsmann, mit seinem philosophischen Krebsgifte anzustecken drohte.
    Abends suchte er ein wenig näher an Flamins Gehör in die zweite Trompete der Fama gegen den entfernten Pseudo-Evangelisten zu stoßen. Im Garten stieß er darein. Er nahm die Hand, deren die Matthäische nicht würdig war, in seine bessere und fing mit der herzlichsten feinsten Schonung, die man sogar der wahren Freundschaft für einen unechten Freund gewähren muß, seinen Bildersturm an. Denn indem er die Kammerherrin tadelte, daß sie auf Agathen Blicke von ihrem Wipfel herunterwürfe, die nichts Reineres wären, als was sonst Affen vom ihrigen auf die Leute schickten; und indem er den Hofjunker tadelte, daß er wie viele Edelleute erst unter Edelleuten den ketzerischen Geruch eines Bürgerlichen am meisten (vielleicht durch Hülfe des Gegensatzes) verspürte, und daß seine Worte und Mienen im Schlosse wie Eisspitzen ans gute warme Herz Agathens anflögen: so war der Tadel dieses Maifrostes gegen die Schwester nur ein Vorwand, in welchen er die Anmerkung einhüllte, daß der Hofjunker Flamins Freund nicht sein würde, wenn er nicht Agathens Liebhaber wäre. –
    Flamins Schweigen (das Zeichen seiner Entrüstung) gab dem Strom seiner Beredsamkeit einen neuen schnellern Abhang; noch dazu rief eine in Le Bauts Garten dichtende Nachtigall alle Echo der Liebe aus seiner Seele wach. Daher ergriff er freilich Flamins beide Hände in jener Überwallung, die immer seine Schritte zum Ziele in Sprünge umsetzte und dadurch das ganze Ziel überrennte. – Viele Plane verunglücken, weil das Herz dem Kopfe nacharbeitet, und weil man beim Ende der Ausführung weniger Behutsamkeit aufwendet als beim Anfange derselben. Er sah seinen Geliebten an, die Flötenkehle der Nachtigall setzte den Text seiner Liebe in Musik, und unbeschreiblich gerührt sagte er: »Du Bester! dein Herz ist zu gut, um nicht von denen überlistet zu werden, die dich nicht erreichen. O wenn einmal die Schneide des Hof-Tons blutig über die Adern deiner Brust wegzöge« – (Flamins Miene sah wie die Frage aus: bist du denn nicht auch satirisch?) »o wenn der, der keine Tugend und Uneigennützigkeit glaubt, auch einmal keine mehr bewiese; wenn er dich sehr betröge, wenn die vom Hof gehärtete Hand einmal Blut und Tränen wie ein Zitronenquetscher aus deinem Herzen drückte: dann verzweifle doch nicht, nur an der Freundschaft nicht – denn deine Mutter und ich lieben dich doch anders. O wahrlich, zu der Zeit, wo du sagen müßtest: warum hab’ ich nicht meinem Freunde gehorcht, der mich so warnte, und meiner Mutter, die mich so liebte – da darfst du zu mir kommen, zu dem, der sich niemals ändert, und der deinen Irrtum höher schätzet als eigennützige Behutsamkeit; dann führ’ ich dich weinend zu deiner Mutter und sage zu ihr: nimm ihn ganz, nur du bist wert, ihn zu lieben.« – Flamin sagte gar nichts darauf. – »Bist du traurig, mein Flamin?« – »Verdrießlich!« – »Ich bin traurig; die Klagen der Nachtigall tönen mich wie künftige an«, sagte Viktor. – »Gefällt dir diese Nachtigall, Viktor?« – »Unbeschreiblich, wie eine Freundin meines Innersten.« – »So irret man, Matthieu singt «, versetzte schnell Flamin. Denn der Evangelist unterschied sich von einer Nachtigall in nichts als der Größe. – Und dann ging Flamin

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